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Der letzte Schattenschnitzer

Der letzte Schattenschnitzer

Titel: Der letzte Schattenschnitzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Aster
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Gipfel, mischte sich mit dem Schnee, und dann trafen sie aufeinander, um über das Schicksal der Menschheit zu beraten. Zwei Schatten voller Macht, die sich niemals vereinen würden. Zwei Seiten ein und derselben Magie, die Überreste des letzten Getreuen Gottes und das Abbild dessen, der das Gleichgewicht zwischen Menschen und Schatten auf Erden bewahren sollte. Dabei verbarg der Schatten des Engels den Jungen gut, so dass der Älteste, während sie einander umflossen, nicht einmal etwas von seiner Anwesenheit ahnte.
     
    Ich steckte im Inneren des Wächters – ein Schatten, der sich im Schatten verbarg. Ich spürte seine Kraft, während er nicht zuließ, dass der Schatten des Ältesten und ich uns miteinander mischten. Und doch ahnte ich die Nähe des Alten. Ohne ihn wirklich spüren zu können, wusste ich, dass ich mich in der Gegenwart eines Schatten befand, der alt geworden war, ohne jemals in die Tiefen des Limbus eingegangen zu sein. Wie gerne hätte ich mich gegen ihn gedrängt, allein um eine Ahnung dessen zu spüren, wem er gehörte. Das aber blieb mir zu jenem Zeitpunkt noch verwehrt. Und dass ich später eine Gelegenheit bekommen sollte, ihn zu erkennen, ahnte ich damals natürlich noch nicht.
     
    Als der Wächter schließlich aus dem Dunkel die Stimme des Alten vernahm, tobte um sie herum ein grellweißer Schneesturm.
    »Nun, Wächter, ist auch das zweite Siegel zerstört. Ich habe gespürt, wie die Schatten bebten und einer für immer die Reihen des Rates verließ. Was immer auch vor sich geht, wir wissen, dass du ein Teil davon bist. Und welche Regeln auch immer uns binden, der Rat wird es nicht einfach geschehen lassen.«
    »Werden wir jetzt nach all den Hunderten von Jahren doch noch als Feinde enden?«
    »Das liegt bei dir.«
    »Bevor wir einst auseinandergingen, gewährte ich dir deinen Willen und ließ mich zu einem Teil eures Gleichgewichts machen. Das ist nun fünfhundert Jahre her, und vieles hat sich seitdem geändert. Gott existiert heute wie damals nicht mehr, inzwischen aber beten die Menschen bloß noch ein Buch an, und selbst die Erinnerung an ihn ist verblasst.«
    »Glaubst du noch immer, in seinem Sinn zu sprechen?«
    »Ebenso sehr, wie ihr das Gleichgewicht wahrt.«
    Auf diese Worte hin herrschte ein kurzes Schweigen im Sturm. Jonas spürte, dass diese beiden, so verschieden sie auch waren, sich doch mehr ähnelten, als sie es zugaben. Der eine sollte mit Hilfe des Rates das Gleichgewicht zwischen Schatten und Menschen aufrechterhalten, und der andere sollte beobachten, was in den Menschen wie den Schatten vorging. Und beide hatten längst begonnen, ihre Aufgaben nach eigenem Ermessen neu zu interpretieren.
    Es war die Stimme des Alten, die schließlich das Schweigen brach: »Die Kinder. Du weißt, dass sie sterben müssen. Beide, der Junge und das Mädchen. Du wirst Sie nicht ewig beschützen können.«
    »Solange sie in Ambrì weilen, kann ich es.«
    »Solange wir die Grenze ehren.«
    »Du willst mir drohen?«
    »Früher oder später musste es so weit kommen.«
    »Der Junge steht unter meinem Schutz. Ebenso wie bald auch das Mädchen. Und weder euer Henker noch eure Schergen werden einen von ihnen bekommen. Weder lebendig noch tot.«
    »Gott hat dir nicht seine Unverwundbarkeit vermacht.«
    »Wage es nicht, über Gott zu sprechen, Alter! Ich habe in seinem Schatten gestanden. Keiner von euch war ihm jemals so nahe wie ich. Dich hat einst bloß sein Sohn verdammt …«
    In der Stimme seines Schattens spürte Jonas den Zorn des Alten wachsen.
    »Auch deine Macht hat Grenzen, Wächter!«
    »Für euch wird es reichen.«
    »Willst du wirklich den Krieg?«
    »Wenn ihr es Krieg nennt, dann werde ich ihn nicht scheuen. Was ich wirklich will, ist etwas anderes, aber das werdet ihr niemals verstehen.«
    »Dann erkläre es mir. Lass mich wissen, weshalb du den Schatten George Ripleys befreitest. Du hast das Übel entfesselt! Erst hast du ihn freigelassen, und nun ist das Eidolon frei. Und niemand anderes als du wird dafür verantwortlich sein, wenn sich der alte Plan des Alchemisten in diesen Tagen gegen die Schöpfung wendet! Lass uns tun, wofür wir geschaffen wurden. Lass uns die Kinder töten, das Abartige aus den Schatten schneiden und das Eidolon zurück in seinen Kerker sperren. Um der Seelen der gesamten Menschheit willen …«
    Die Stimme des Alten hatte nun, seinem Zorn zum Trotz, etwas beinahe Flehentliches. Doch der Wächter ließ sich nicht erweichen.
    »Es geht euch nicht um die

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