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Der letzte Schattenschnitzer

Der letzte Schattenschnitzer

Titel: Der letzte Schattenschnitzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Aster
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Seelen der Menschen, Alter. Es geht um eure Macht. Und die ist es nicht, der ich meine Treue geschworen habe.«
    »Er hat auch uns geschaffen!«, schrie er im Dunkel. Doch auch dieses Argument ließ der Wächter nicht gelten.
    »Das hat er nicht. Ihr habt euch selbst geschaffen, und seine Vertreter auf Erden waren es, die euch zu den Bewahrern des Gleichgewichts ernannten. Gott selbst kennt euch nicht einmal. Ich aber bin ein Teil seines Schattens!«
    »Du maßt dir an, was dir nicht zusteht. Gott ist so lange schon fort, dass du vergessen hast, wofür du noch auf Erden weilst!«
    »Oh, Alter, das weiß ich wohl! Denn während ihr das Gleichgewicht zerstört, das ihr zu bewahren vorgebt, bin ich hier, um sicherzustellen, dass Sein Wille geschehe.«
    Im Inneren des Wächters fühlte Jonas Mandelbrodt, dass hier, in diesem Moment und an diesem Ort, die beiden letzten Säulen, welche die Welt noch stützten, sich gegenseitig umzureißen drohten.
    »Willst du wirklich darum kämpfen, wessen Aufgabe die wichtigere ist?« Der Ton des Alten wurde eindringlicher, beschwichtigender. Er versuchte, ins Innere des Wächters vorzudringen, wo Jonas Mandelbrodt sich vor ihm verbarg. Der Schatten des Engels aber war nicht zu erweichen.
    »Ihr nutzt eure Macht, um all die Dinge vor der Welt zu verbergen, die einst die Schattenschnitzer ihr schenken wollten!«
    »Sie waren Narren! Das waren sie, als sie starben, und das sind sie noch immer. Die Schule der Schattenschnitzer ist vergessen. Und wir bestimmen nun über das Gleichgewicht. Wenn du diese Wahrheit nicht sehen willst, dann befinden wir uns von heute an im Krieg!«
    »Die Menschen werden nicht einmal bemerken, was geschieht. Denn sie beachten ihre Schatten nicht mehr.«
    »Aber bis sie es bemerken, wird es womöglich zu spät sein.«
    »So oder so, Alter, es wird die rechte Zeit sein, um den Willen des Herrn zu erkennen!«
    »Das ist Irrsinn!« Ein letztes Mal noch drang die Stimme des Alten durch den tobenden Sturm, hob sich vom Weiß des Schnees ab und drang bis zu Jonas Mandelbrodt, den bei diesen Worten eine kalte Furcht ergriff. Der Schatten des Engels aber lag noch immer ungerührt auf dem Gipfel.
    »Nein. Es ist der Wille Gottes.«
    Dann flossen die beiden Schatten auf dem Gipfel auseinander. Sie trennten sich, glitten fort über den Schnee, und während der eine sich in die Lüfte erhob, floh der andere über Felsen und durch Gletscherspalten den Berg hinab. Der Älteste kehrte heim zu den Seinen, um denen, die verblieben waren, zu verkünden, dass sie sich von heute an im Krieg befanden.
    Der Wächter kehrte zurück nach Ambrì, um ein Bollwerk gegen sie zu errichten. Hoch in der Luft, wo die Wolken sonst nur die Schatten ihrer eigenen Art kannten, trieb der Schlag seiner Flügel ihn voran, kraftvoll und stetig. In seinem Inneren aber fand ein sonderbares Zwiegespräch statt.
    »Nun, Jonas, ich wollte, dass du all das hörst. Dass du weißt, womit wir es zu tun haben.«
    »Aber ich verstehe es noch immer nicht. Was ist es, was geschehen wird?«
    »Das, was geschehen muss.«
    »Aber was ist es. Was genau ist der Plan des Alchemisten?«
    »Ich werde dir davon erzählen, sobald das Mädchen bei uns ist. Bevor der Rat seinen Angriff auf Ambrì eröffnet. Sie hat das gleiche Recht wie du, mehr über diese Dinge zu erfahren, die zu vollbringen ihr geschaffen wurdet.«
    Verstört von dem Gespräch der mächtigen Schatten ließ der Junge sich vom Schatten des Engels mitreißen. Zurück nach Ambrì. Jenem Ort, der niemals wieder der gleiche sein würde. Wieder einmal hatte Jonas Mandelbrodt keine Antworten auf seine Fragen bekommen. Er ahnte nicht einmal, worum es in dem Krieg ging, der nun begann und von dem die Menschen womöglich niemals etwas erfahren würden.

John Dee
    ALCHIMIA UMBRARUM (1604)
    Kapitel III
    (Seite 46 f.)
     
    VON DEN TOREN DES LIMBUS
     
    I hren Weg in den Limbus finden die Schatten der Welt über Tore, einzig dazu geschaffen, den Kreislauf der Schatten aufrechtzuerhalten. Besagte Tore bestehen aus älteren Schatten, die vom Anbeginn der Zeiten herrühren. Geworfen werden sie von Felsen und Bäumen, manche davon schon lange nicht mehr existent – sie sind der Weg, auf dem die Schemen der Menschen in die Welt der Schatten eingehen. Einzig jenen Schemen stehen diese Tore aus Dunkelheit offen, und nichts, das nicht aus Schatten ist, kann sie passieren und in den Limbus dringen, der die Seele der Schatten darstellt.
    Wie aber drängte es die Schattenkundigen

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