Der letzte Single fangt den Mann
blass.
» Robbie hat mir erzählt, dass du krank warst. Ich fühle mich total scheiße, Abigail, es tut mir unheimlich leid.«
» Du hast mit Robert gesprochen?«
» Hat er dir das nicht gesagt? Er kam vor ein paar Tagen zu mir und hat mir die Hölle heißgemacht. Bella übrigens auch.«
Als ihr Name fällt, zucke ich unwillkürlich zusammen. Bella.
» Es ist nicht ihre Schuld, Abigail«, sagt er rasch. » Das geht allein auf meine Kappe. Ich habe sie unglücklich gemacht… jahrelang. Und… ich wollte wirklich, dass das mit uns funktioniert, ich war nur… Ich hatte dich wirklich gern.«
» Schön für dich«, entgegne ich patzig und schicke mich an, die Tür zu schließen.
Ich will nicht hören, wie sehr er sich angestrengt hat, um mit mir zusammen zu sein. Tatsächlich will ich ihn nie mehr wiedersehen.
» Bitte, lass mich ausreden. Die Sache mit Bella war nie richtig beendet…« Er macht eine Pause und seufzt. » Wir haben uns vor Jahren getrennt. Wir haben versucht, Freunde zu bleiben, aber es war unmöglich. Das ist Wunschdenken, in den meisten Fällen jedenfalls.« Er schweift einen Moment lang gedanklich ab. » Dann, nach Weihnachten, hat sie mir einen Brief geschrieben… egal. Jedenfalls wusste ich nicht, was ich tun soll, es war die Hölle, ich war mit dir zusammen, aber auch mit ihr…«
» Soll ich jetzt Mitleid mit dir haben?«, frage ich giftig.
» Ich kann nicht ungeschehen machen, was passiert ist. Ich habe versucht, aus der Sache herauszukommen, ohne jemanden zu verletzen. Dann musste ich nach Hongkong, und ich erzählte Bella davon, und es war ein verrückter, spontaner Entschluss… Sie fühlt sich grauenhaft. Sie ist untröstlich, dass sie dir wehgetan hat…«
» Arme kleine Bells. Okay, Dave, ich muss jetzt los.«
Endlich erwidert er meinen Blick. Er sieht aus, als würde er gleich heulen.
Ich schließe die Tür, drehe mich um und lasse mich auf den Boden gleiten, wo ich einige Minuten ins Leere starre und nachdenke.
Plötzlich spüre ich nichts anderes als ernsthaftes und aufrichtiges Mitleid mit den beiden. Armer Dave, liebt eine Frau, mit der er nicht zusammen sein kann, ohne seine Mutter zu kränken. Arme Bella, wird niemals den Grund erfahren, warum er ihr das Herz vor so vielen Jahren gebrochen hat. Kein Wunder, dass sie so eine verbitterte Zicke ist. Sie lieben sich und können nicht zusammen sein.
Was für ein Chaos.
Ich habe nicht einmal Lust zu weinen. Ich fühle mich irgendwie… ausgetrocknet. Ich habe keine Tränen mehr übrig für Dave.
Wenige Minuten später stehe ich auf, um den richtigen Zimmerservice hereinzulassen, und nachdem ich geduscht habe und angezogen bin, beschließe ich, einen Spaziergang durchs Hotel zu machen. Es ist fantastisch: ruhig, dezent und luxuriös.
Schließlich finde ich mich auf einem Skywalk, der über eine geschäftige, viel befahrene Straße führt und das Mandarin Oriental mit dem Prince’s Building verbindet, wieder. Ich sehe durch die Scheiben, dass fast jedes Gebäude mit dem Nachbargebäude durch mindestens ein oder zwei Fußgängerbrücken verbunden ist. Wie lustig.
Ich kaufe mir einen Latte macchiato in einem Café im Prince’s Building, schlendere durch Antikläden und Galerien und finde mich wenig später auf einem anderen Skywalk zum Alexandra House wieder.
Ich habe nichts zu tun. Und ich muss nirgendwohin. Ohne Ziel, ohne Stadtplan und ohne Programm kann ich frei herumschlendern. Das mache ich im wahren Leben nie. Selbst an meinen Shopping-Kaffee-was-auch-immer-Tagen mit den Mädels muss ich nebenbei Besorgungen machen, nach Schuhen suchen, über Dates nachdenken und SMS verschicken. Beschäftigtbeschäftigtbeschäftigt.
Aber nicht heute.
Die Franzosen haben das perfekte Wort dafür: flanieren. Flanieren bedeutet, ohne Ziel umherzuschlendern und es zu genießen, das Leben und die Umgebung zu beobachten. Laut Baudelaire ist ein Flaneur jemand, der als Entdecker und Beobachter zugleich durch die Stadt streift.
Oder wie Plum sagen würde, ich flaniere wie eine Geisteskranke.
Ein paar Rolltreppen hoch, und ich lande auf dem nächsten Skywalk über einer noch breiteren Straße, auf der Doppeldeckerstraßenbahnen sich aneinander vorbeibewegen, und schließlich in einem Gebäudekomplex, das The Landmark heißt.
The Landmark ist gigantisch: drei Etagen Luxus um ein Atrium, in dem ein Orchester aus keinem ersichtlichen Grund amerikanische Musical-Melodien spielt. Ich summe leise mit zu What a swell party this is und
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