Der letzte Single fangt den Mann
Hattest du eigentlich Probleme herzufinden?«, fragt er rasch, nimmt einen großen Schluck von seinem Bier und kleckert ein bisschen davon auf seine Krawatte.
» Äh… nein«, sage ich. » Du?«
» Ja«, antwortet er ernst. » Ich dachte, der Trafalgar Square wäre in der Nähe vom Leicester Square, und, na ja, den Rest kannst du dir ja vorstellen.«
Der Trafalgar Square ist in der Nähe des Leicester Square, denke ich, halte aber den Mund. Es ist nicht nett, jemandem das Gefühl zu geben, er sei dumm. Selbst wenn der Betroffene dumm ist. (Ist Josh dumm?) Ich schenke ihm ein Lächeln.
» In Central London kann man sich leicht verlaufen. Vielleicht solltest du beim nächsten Mal einen Kompass einstecken und ein paar Sandwiches, für den Fall, dass du dich wieder verirrst.«
Josh aus der Personalabteilung redet weiter, ohne auf meine Bemerkung mit dem Kompass/Proviant einzugehen. » Allerdings! Ich hasse die Innenstadt! Ich komme nur hierher, wenn es nicht anders geht. Nach Möglichkeit halte ich mich in Wandsworth auf, außer ich muss zur Arbeit.«
» Wandsworth ist hübsch«, sage ich, weil mir nichts Besseres einfällt, obwohl ich nie dort gewesen bin.
Und wozu in London leben, wenn man die Stadt hasst? Dann zieh halt woanders hin. Das senkt die Mieten für uns andere. O Mann, ich habe die Befürchtung, Josh ist ein Langweiler. Ich hätte nicht gedacht, dass ich am Samstag derart betrunken war. Vielleicht sollte ich keine Dates nach mehr als drei Gläsern ausmachen.
» Nicht?«, ruft er und lächelt, wobei er einen Essensrest zwischen seinen Zähnen offenbart.
O Gott, er ist tatsächlich eine Niete.
Während der nächsten zehn Minuten läuft die Unterhaltung so weiter. Frage, Antwort, Kommentar. Mir wird bewusst, dass ich mich verhalte, wie Robert mir empfohlen hat– ich bin cool, distanziert, gebe hin und wieder lustig-ironische Sprüche von mir (auf die er nie eingeht) und verhalte mich allgemein freundlich. Es ist leicht, so zu tun, als wäre Josh mir schnuppe, denn– jawohl– er ist mir schnuppe. Total.
Obwohl er mir schnuppe ist, erfahre ich, dass er in Croydon bei Nestlé arbeitet, Geografie studiert hat, im Osten Englands aufgewachsen ist, den Sonntagsbraten seiner Mutter mehr liebt als jede Restaurantküche und alle Folgen von Little Britain auswendig kennt. Er erfährt im Gegenzug, dass ich Spanisch und Französisch studiert habe, in einer Bank arbeite, was mich aber langweilt, gerne lese, in Primrose Hill wohne und keine einzige Folge von Little Britain kenne.
Ich leere recht zügig mein Glas, und obwohl er auch ausgetrunken hat, bietet er sich nicht an, Nachschub zu holen. Also gehe ich stattdessen.
Während ich an der Theke warte, trifft es mich plötzlich wie ein Schlag: Ich will nicht hier sein. Das klingt einleuchtend, aber verstößt das nicht gegen mein inneres Prinzip– durchhalten, abwarten und sich die Sache gründlich überlegen? Das ist eine verdammte Offenbarung.
Ich bestelle die Getränke und hole mein Handy hervor, um Robert zu simsen. Er ist der einzige Mensch, der mir heute Abend helfen kann.
An Robert: Bitte hilf mir. Ich brauche eine Ausrede, um mich zu verziehen.
Robert antwortet: Er könnte dein Seelenverwandter sein.
Ich starre mit schmalen Augen auf mein Handy. Netter Spruch, Besserwisser. Ich antworte: Im Ernst. Soll ich einen Blinddarmdurchbruch vortäuschen?
Von Robert: Ich rufe dich in zehn Minuten an. Geh ran.
Gleich darauf kehre ich mit den Getränken zurück und setze mich mit einem breiten Grinsen.
» Samstagabend war ziemlich lustig, nicht?«
» Allerdings! Wir sind zuerst mit dem Nahverkehrszug bis zur Victoria Station gefahren und dann umgestiegen, aber versehentlich in South Kensington ausgestiegen statt in High Street Kensington, und dann…«
Beeil dich, Robert, denke ich. Bitte, beeil dich. Ich versuche, Josh in ein Gespräch über das großartige Wandsworth zu verwickeln ( » Damals, als das Einkaufszentrum eröffnet wurde, war es das größte in Europa! Natürlich, das war schon 1971… Aber ich finde dort alles, was ich brauche: Burtons, JD Sports, Primark…« » Oh, ich stehe auf Primark!«, sage ich, dankbar, dass ich endlich etwas zum Thema » Wandsworth« beitragen kann), als mein Handy klingelt.
» Das ist mein Mitbewohner. Tut mir leid, ich muss mal kurz rangehen«, sage ich schnell. » Hallo?«
» Abigail, ich habe mich ausgesperrt«, sagt Robert.
» Du hast dich aus dem Haus ausgesperrt?«, wiederhole ich sehr laut und
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