Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4
Glücklicherweise wurde darüber nichts bekannt. Sonst wäre die Presse wild geworden. Bei den Papieren in der Tasche dieses unglücklichen Jünglings handelt es sich um die Bruce-Partington-Pläne für die Unterseebootflotte.«
Mycroft sprach mit einem Ernst, der vom Verständnis für die Bedeutung der Angelegenheit zeugte. Sein Bruder und ich saßen erwartungsvoll.
»Gewiß hast du von dem Projekt gehört? Ich dachte, jeder Mensch weiß davon.«
»Nur den Namen.«
»Seine Wichtigkeit kann man kaum übertreiben. Es ist das am eifersüchtigsten bewachte Staatsgeheimnis. Du kannst es mir abnehmen, die Seekriegsführung wird innerhalb des Aktionsradius einer Bruce-Partington-Operation unmöglich. Vor zwei Jahren wurde insgeheim eine große Summe vom Haushalt abgezweigt und dafür ausgegeben, das Monopol an der Erfindung zu erwerben. Die Pläne sind außerordentlich vertrackt, sie umfassen einige dreißig voneinander unabhängige Patente, die jedoch alle wesentlich sind, damit das Ganze funktioniert; sie wurden in einem komplizierten Safe in einem an das Arsenal angeschlossenen Geheimbüro, das einbruchsichere Türen und Fenster besitzt, aufbewahrt. Unter unbegreiflichen Umständen sind die Pläne aus dem Büro entfernt worden. Sogar wenn der Chefkonstrukteur der Marine sie einsehen wollte, war er gezwungen, sich zu dem Zwecke in das Amt nach Woolwich zu begeben. Und doch finden wir sie jetzt im Herzen von London in den Taschen eines toten kleinen Angestellten. Vom behördlichen Standpunkt aus ist das einfach entsetzlich.«
»Aber ihr habt sie doch wiedererlangt?«
»Nein, Sherlock, nein! Das ist ja der Haken an der Sache. Wir haben sie nicht alle wiedergefunden. Zehn Dokumente wurden aus Woolwich entwendet. Sieben steckten in den Taschen von Cadogan West. Die drei allerwichtigsten sind weg – gestohlen, verschwunden. Du mußt alles andere fallenlassen, Sherlock. Kümmere dich nicht mehr um deine üblichen kleinen Verwirrspiele rund ums Polizeigericht. Du mußt ein lebenswichtiges internationales Problem lösen. Warum hat Cadogan West die Papiere genommen, wo sind die West die Papiere genommen, wo sind die vermißten Dokumente, wie starb er, wie ist die Leiche an die bewußte Stelle gekommen, wie kann das Übel entschärft werden? Finde die Antwort auf alle diese Fragen, und du erweist dem Land einen guten Dienst.«
»Warum klärst du sie nicht selber, Mycroft? Du siehst so weit wie ich.«
»Schon möglich, Sherlock. Aber man muß Details zusammentragen. Besorg mir die Details, und ich gebe dir aus dem Lehnstuhl ein hervorragendes Expertenurteil. Aber überall herumrennen, die Aufsichtsbeamten der Bahn ins Kreuzverhör nehmen, mich auf den Bauch legen mit einer Lupe vor dem Auge – das ist nicht mein Metier. Nein, du bist der einzige Mensch, der die Sache aufklären kann. Wenn du Vergnügen daran findest, deinen Namen auf der nächsten Auszeichnungsliste zu lesen…«
Mein Freund lächelte und schüttelte den Kopf.
»Ich spiele das Spiel um seiner selbst willen«, sagte er. »Das Problem bietet einige Punkte, die des Interesses wert sind, und es wird mir gewiß Freude machen, einen Blick hineinzuwerfen. Ein paar mehr Fakten, bitte.«
»Ich habe auf diesem Blatt die wesentlicheren kurz notiert, zusammen mit den Adressen einiger Leute, die für dich von Nutzen sein werden. Gegenwärtig ist mit der Aufbewahrung der Papiere der berühmte Regierungs-Experte Sir James Walter offiziell betraut, seine Auszeichnungen und sonstigen Titel füllen zwei Zeilen im Buch der Or den und Ehrungen. Er ist im Dienste ergraut, ist ein Gentleman, bevorzugter Gast in den erhabensten Häusern und über allem ein Mann, dessen Patriotismus jenseits allen Verdachts steht. Er ist einer von zwei Männern, die den Schlüssel zum Safe besitzen. Ich darf hinzufügen, daß die Papiere am Montag während der Dienststunden unzweifelhaft im Safe lagen, und Sir James hat das Amt gegen drei verlassen und seinen Schlüssel mitgenommen. Den ganzen Abend des Tages, an dem der Zwischenfall geschah, hielt er sich in Admiral Sinclairs Haus am Barclay Square auf.«
»Ist der Umstand bestätigt worden?«
»Ja. Sein Bruder, Colonel Valentine Walter, bezeugt sein Weggehen aus Woolwich und Admiral Sinclair sein Eintreffen in London; demnach scheidet Sir James als direkter Faktor aus.«
»Wer ist der Mann mit dem anderen Schlüssel?«
»Der Bürovorsteher und Zeichner Mr. Sidney Johnson. Ein
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