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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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reden.«
    Steve drehte sich indigniert um. Auf der Schwelle stand ein kleiner, etwa siebzigjähriger Mann. Er war völlig kahl, und sein runzliges Gesicht war tief gebräunt und über und über mit Altersflecken übersät. Er hatte seinen zahnlosen Mund weit zu einem lautlosen Greisenlachen geöffnet, sodass man das hellrosa Fleisch seiner nackten Kiefer erkennen konnte, und wischte sich die Hände immer wieder an seinem fleckigen, durchlöcherten T-Shirt ab. »Ich bin gerannt wie ein Boisei, hinter dem die Knirpse her sind, als Ruiz mir sagte, wer angekommen ist«, krähte er begeistert und kam auf sie zugeeilt. »Jerome!«, rief er und schloss ihn in die Arme. Tränen stiegen ihm in die hellblauen Augen und liefen ihm die Wangen herab. Jerome stand stocksteif und etwas peinlich berührt da. »Kennst du denn deinen alten Freund Harald Olsen nicht mehr?«
    »Hal?«
    Gnädiger Gott!, dachte Steve und stand da wie ein Stier, den die Axt des Schlachters zwischen die Augen getroffen hat. Es ist erst vier Tage her, dass wir beisammensaßen, und er war noch keine dreißig. Die Starre war noch nicht von ihm gewichen, als die abgezehrten Greisenarme sich um ihn schlossen und er die magere nasse Wange an der seinen fühlte und die greinende Stimme sagen hörte: »Dass ich das noch erleben durfte! Wie habe ich auf euch gewartet. Mein Gott, wie habe ich auf euch gewartet die vielen Jahre!« Da überkam Steve ein Begreifen, das ihm bis dahin versagt geblieben war. Er wusste mit einem Mal, was Zeit bedeutet.
     
    »Wie haben wir immer nach euch Ausschau gehalten. Bei jedem Wetter sind wir losgefahren, und wenn noch so viele Ölknechte sich unten im Landegebiet herumtrieben. Wir dachten, ihr müsstet doch längst da sein, seid doch auch vor uns abgesegelt. Ihr habt euch vielleicht Zeit gelassen! Wir waren so ziemlich mit den Ersten hier. Abgesehen von den Scheichs natürlich, aber das war damals noch nicht so schlimm. Ab und zu ein paar Kamelreiter, ab und zu eine MIG, die hier herumsauste, nicht besonders aufregend. Sie warfen noch keine Atomgranaten, wollten uns lebendig, für irgendwelche Schauprozesse in der Zukunft. Bis sie langsam dahinterkamen, dass auch sie hinters Licht geführt worden waren. Da ließen sie ihren Zorn an uns aus, und es wurde schlimm. Das waren schwere Zeiten, bis Salomon die Knirpse abgerichtet hatte und wir uns ein wenig sicherer fühlen konnten.«
    Sie hatten sich rasiert, geduscht und umgezogen und saßen im Freien unter dem dichten Blattwerk von Kastanien am Rande einer Überdachung. Die Sonne war untergegangen. Es roch nach Holzfeuer, dessen Rauch talwärts zog. Es hatte für alle anderen Konserven, für Jerome und Steve eine warme Mahlzeit gegeben, die sie gemeinsam mit dem Kommandanten, etwa zehn weiteren Leuten aus der Festung und einem halben Dutzend von Goodlucks Kriegern in der Kantinenbaracke eingenommen hatten. Die Knirpse, wie die sand-bis rötlichfarbenen »unrasierten« Gentlemen genannt wurden, waren versessen auf Konserven und Leberpastete. »Kein Wunder«, hatte Harness erläutert, »sie essen mit Vorliebe die Leber ihrer getöteten Gegner.« Steve war beinahe das Stück Ziegenfleisch, das er eben runterschlucken wollte, im Hals stecken geblieben. »Wundern Sie sich nicht. Das sind alles Kannibalen. Wir haben alles Mögliche versucht, es ihnen abzugewöhnen. Ohne Erfolg. Wir konnten sie nur davon überzeugen, dass es lohnender ist seinen Gegner am Leben zu lassen und zu verkaufen.«
    »Dann unterstützt die Navy hier den Sklavenhandel?«, fragte Jerome entsetzt.
    »Nennen Sie es wie Sie wollen«, sagte der Kommandant. »Es ist die einzige indirekte Möglichkeit des Gefangenenaustauschs. Unsere Gegner lehnen jeden direkten Kontakt ab.«
    »Ihr dürft euch nicht vorstellen, dass sie die Leichen ihrer Gegner angeschleppt bringen, damit sie hier in der Kantine zubereitet werden«, sagte der alte Harald kichernd. »Das machen sie ganz unter sich, bleiben dann einige Tage verschwunden. Und irgendwo prangt dann an einem der Schädelbäume, die man da und dort an ihren heiligen Plätzen findet, ein neuer Kopf. Ja, Jerome, es herrschen raue Sitten hier.«
    Dann hatten sie sich ins Freie gesetzt und Hal und ein anderer Alter, der einen zerschmetterten Fuß hatte und an einer Krücke ging, brachten einen Krug mit einem undefinierbaren Gebräu, das nach vergorenem Honig und Kräutern schmeckte. »Das ist Met«, versicherte Harald, »das köstlichste Getränk, das wir hier produzieren.« Jerome

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