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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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verstehen Sie!«
    Er wäre hingestürzt, wenn Jerome ihn nicht aufgefangen hätte.
    »Wie lange bist du schon da, Elmer?«, fragte ihn Steve.
    »Dreiunddreißig Jahre«, sagte Trucy. »Und glaubt mir, ich hatte genug Zeit darüber nachzudenken. Meint ihr, man kann dreiunddreißig Jahre so leben, ohne ein Ziel? Ohne ein Ideal?«
    »Ist schon gut, Elmer«, sagte Jerome.
    »Ihr werdet alle nutzlos sterben, wenn ihr keine Ideale habt«, sagte Trucy. »Soll denn unser ganzes Leben und der Tod von so vielen guten Männern umsonst gewesen sein? Wir müssen unsere Herausforderung annehmen. Die Zukunft der Welt gehört uns, wenn wir’s richtig anpacken. Mit Gottes Hilfe …«
    »Ist schon gut, Elmer«, sagte Jerome.
    »Lass mich los!«, fauchte Trucy ihn verärgert an und humpelte hinaus.
    In der folgenden Nacht träumte Steve Haralds Traum, nur dass ihm nicht der Erzengel begegnete, sondern er selbst der Erzengel war, eingezwängt in einen schrecklich unbequemen Raumanzug, in dem er sich kaum bewegen konnte. Aber er war dennoch voller Tatendrang, fühlte sich aufgerufen mit dem Finger auf die Schandflecke der menschlichen Geschichte zu deuten und sie wegzubrennen. Immer wieder versuchte er, den Arm zu heben, um den sengenden Strahl der Laserkanone ins Ziel zu lenken, doch sein Arm hing ihm leblos an der Seite, wie ein Klotz, wie ein schorfiges Stück roher Beton, das sich nicht bewegen ließ.
     
    Am Tag darauf stimmten sie ab, wer Festungskommandant werden sollte.
    Jerome schlug Bailey vor.
    Sieben Ja-Stimmen, darunter auch die von Blizzard und Goodluck
    Eine Nein-Stimme: Trucy
    Zwei Enthaltungen: Nina und Bailey
     
    Es war an einem sonnigen Wintertag, da kam Snowball, Blizzards Sohn, zu Steve und sagte ihm, dass sich im Tal oberhalb des Lagers eine Wildziege in einer seiner Schlingen verfangen hätte. Sie machten sich sofort auf den Weg, damit ihnen kein Raubzug oder die Aasfresser zuvorkämen. Während sie den Bach entlang den ausgetretenen Karawanenpfad hinaufstiegen, hielt Snowball nach Forellen Ausschau, die in den schattigen Kuhlen standen wie Speerspitzen aus gedunkeltem Silber, und dann und wann drehte er einen Stein im feuchten Ufergrund, denn hier wimmelte es von Krebsen. Im Nu hatte er sich ein paar gefangen, knackte sie mit seinem unglaublich kräftigen Gebiss und löste mit flinker Zunge das Fleisch aus den gepanzerten Gliedmaßen, während sich die Tiere mit ihren Scheren noch träge zur Wehr setzten.
    Die Ziege - sie sah noch eher wie ein kurzhaariges Schaf aus, denn die Entwicklungslinien dieser beiden Tierarten begannen sich erst zu trennen - war noch jung. Sie blökte kläglich, ein paar Geier hatten sich bereits eingefunden, hässliche Leichenbitter in ungepflegtem Federkleid und grausam gleichgültigen Augen. Snowball sträubte das weiße Nackenfell, fletschte die Zähne und knurrte sie an, vermochte sie jedoch wenig zu beeindrucken. Ein Marabu zog sich beleidigt ein paar Schritte zurück, breitete vorsorglich die Flügel aus und musterte ihn anklagend.
    Das Zicklein schien es dankbar hinzunehmen, den Schnäbeln der Aasfresser entronnen zu sein, und ließ sich widerstandslos zum Bach hinunterführen. Ungläubiges Entsetzen trat in seine bernsteinfarbenen Augen, als Steve ihm das Messer in die Kehle stieß. Das helle meckernde Blöken gerann zu einem röchelnden Seufzer, während der Körper sich wie in einem lautlosen Hustenanfall aufbäumte. Hellrotes Blut sprudelte hervor und benetzte Steves Hand und die hellen Kiesel am Ufer. Snowball sah ihm zu und starrte mit einer Mischung von Grauen und Bewunderung auf Steves Hand, wie er das Messer aus der Todeswunde zog. Er ließ sich nie ein Schlachten entgehen; das Töten schien eine ungeheure Faszination auf ihn auszuüben.
    Steve band das Tier mit den Hinterläufen an zwei starken Ästen fest, setzte die scharfe Klinge an und zog sie senkrecht vom Unterleib bis zum Hals, dann drang er mit kräftigen Fingern unter die Haut und schlug mit den Handkanten fachgerecht den Kadaver aus dem Fell, bis seine Arme bis über die Ellbogen unter der Decke verschwunden waren und es aussah, als hielte er den nackten Körper in einer obszönen Stellung umfangen. Darauf schnitt er das Fell an den Läufen ab und breitete es auf dem Kies zum Trocknen aus.
    Snowball kauerte mit gesträubten Nackenhaaren ein paar Schritte hinter Steve und registrierte aufmerksam jede seiner Bewegungen. Als Steve zum zweiten Mal das Messer ansetzte und mit einem kräftigen, knirschenden Schnitt

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