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Der letzte Tag der Unschuld

Der letzte Tag der Unschuld

Titel: Der letzte Tag der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edney Silvestre
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sofort angetan von dieser Ausrede, die die Frau zu überraschen schien. »Von Angehörigen aus Rio de Janeiro, von wo ich heute angereist bin. Ich benötige Informationen. Die Familie benötigt sie. Sie möchte einige dunkle Punkte aufklären. Sie wollen – wir wollen – vermeiden, dass die Geschichte an die Boulevardpresse gelangt.«
    Er wartete. Sie antwortete nicht gleich.
    »Vielleicht kommen Sie besser herein«, sagte sie schließlich.
    »Ich warte lieber draußen.«
    »Wie Sie wünschen.«
    Sie wandte sich ab. Er sah ihr nach, wie sie im Haus verschwand. Wenige Minuten später hörte er schwere Schritte die Treppe herunterpoltern.
    Der Mann, der auf ihn zukam, nahm einen Gutteil der Türöffnung ein.
    »Sie wollten mich sprechen?«
    Weiße Bartstoppeln sprossen in seinem rötlichen Gesicht. Das enganliegende Hemd, das offenbar aus schlankeren Tagen stammte, spannte sich über dem Oberkörper, der im Verhältnis zu den kurzen, krummen Beinen zu mächtig wirkte. Er trug Stiefel.
    »Doutor Torres?«
    »Marques Torres. Sie wollten mich sprechen?«
    »Ich muss Sie sprechen. Ich bin der Anwalt der …«
    »Sprechen Sie ruhig. Aber dieser Mord ist Sache des Untersuchungsrichters.«
    »Ich wollte nicht über Dona Anitas Tod mit Ihnen reden. Sondern über früher. Über Aparecida.«
    Der Bürgermeister tat einen Schritt nach vorn und zog die Tür hinter sich zu. Dem Alten fiel auf, dass er große, plumpe Hände hatte. Die Nägel waren jedoch manikürt.
    »Was für eine Aparecida?«
    Er sprach wie jemand, der von klein auf Gehorsam gewöhnt ist. Sein voller Mund mit den breiten Lippen ähnelte dem seiner Tochter. Auch die kleinen Augen hatte Cecília von ihm geerbt.
    »Die Leiterin des Waisenhauses hat mir geraten, mich an Sie zu wenden.«
    »Ach, die Schwarze. Die hat Sie zu mir geschickt? Wozu?«
    »Es scheint, dass Ihr Vater …«
    »Mein Vater?«
    »Ihr Vater, der Senator Marques Torres … Er war 1952 Parlamentsabgeordneter, nicht wahr?«
    »Ja. Wieso?«
    »Es scheint, dass der Senator damals ein junges Mädchen adoptieren wollte.«
    »Adoptieren?«
    »Ein junges Mädchen namens Aparecida. Tochter einer Landarbeiterin auf seinem Gut.«
    »Davon weiß ich nichts. Ich war zu dieser Zeit schon verheiratet und hatte mein eigenes Leben, meine Familie. Mein Vater war damals öfter in der Hauptstadt, im Parlament, als hier.«
    »Haben Sie Adoptivgeschwister?«
    »Nein.«
    »Und trotzdem gab es da dieses Mädchen, diese Aparecida …«
    »1952? In dem Jahr hat mein Vater hier die städtische Schule gegründet. Das ist meine stärkste Erinnerung an diese Zeit: das Engagement, mit dem mein Vater sich für eine kostenlose weiterführende Schule eingesetzt hat. Er hat sehr darum kämpfen müssen, bei der Bundesregierung die entsprechenden Gelder bewilligt zu bekommen.«
    »Das war das Jahr, in dem Aparecida geheiratet hat. Ihre Mutter, Elza …«
    »Vierhundertzwanzig Kinder, die umsonst zur Schule gehen können. Vom ersten Gymnasialjahr bis zum dritten Jahr der Oberstufe. Die Straße von hier zur Hauptstadt wurde damals auch asphaltiert. Aufgrund seiner persönlichen Bemühungen. Mit den von ihm aufgetriebenen Geldern.«
    »1952 …«
    »Doutor Getúlio hat ihn sehr geschätzt …«
    »Ihr Vater war ein Freund des Diktators?«
    »1952 war Doutor Getúlio gewählter Präsident. Mein Vater sprach über ihn wie über einen Freund, nicht wie über den brasilianischen Präsidenten Vargas.«
    »Hat Ihr Vater diese Sache Ihnen gegenüber nie erwähnt? Die Adoption des Mädchens? Oder ihre Mutter Elza?«
    »Wir sahen uns damals kaum, ich lebte auf der Fazenda, er in der Hauptstadt. In Rio de Janeiro, meine ich. Das war vor der Gründung von Brasília. Vor Doutor Getúlios Selbstmord.«
    »Aparecida wurde auf Ihrer Fazenda geboren, nicht wahr?«
    »Wir besitzen keine Fazenda mehr.«
    »Aber sie gehörte Ihnen, als Aparecida geboren wurde?«
    »Jetzt gehört sie Doutor Geraldo.«
    »Elza, ihre Mutter, arbeitete auf der Fazenda, stimmt’s?«
    »Doutor Geraldo Bastos. Der Besitzer der Textilfabrik. Als mein Vater starb, verkauften wir die Fazenda an ihn. Das war 1955. Ein Jahr nach Vargas’ Tod.«
    »Hat Ihr Vater, wie Vargas, ebenfalls …«
    »Doutor Getúlios Tod hat meinen Vater schwer getroffen.«
    »Wusste er, dass Sie Dona Anita kannten? Aparecida?«
    »Dona Anitas Ehemann und ich sind alte Bekannte. Wir haben zusammen studiert.«
    »Sie sind auch Zahnarzt?«
    »Ingenieur. Agronom. Wir haben uns im Seminar in Valença

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