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Der letzte Tag der Unschuld

Der letzte Tag der Unschuld

Titel: Der letzte Tag der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edney Silvestre
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Zusammen mit dem Schweißgeruch. Er roch nach Parfüm und Schweiß.
    »Ich muss mit dir reden.«
    »Jetzt geht’s grade nicht.«
    »Nur ganz kurz.«
    »Ein anderes Mal.«
    »Es dauert nicht lang.«
    »Kommen Sie später noch mal wieder.«
    »Es geht wirklich ganz schnell.«
    »Später.«
    »Es geht um deine Schwester.«
    »Ich habe keine Schwester.«
    »Es geht um Anita.«
    Der Alte war sich nicht sicher, ob sich am Blick des Jungen oder am Druck auf seine Handgelenke etwas änderte. Er wiederholte: »Es geht um deine Schwester. Ich brauche ein paar Informationen.«
    Der Junge rührte sich nicht.
    »Informationen. Über ein paar Dinge, die nicht zusammenpassen. Über Anita.«
    Er spürte, wie der Druck an seinen Handgelenken stärker wurde.
    »Über Aparecida.«
    Der Junge rückte ein Stückchen von ihm ab.
    »Ich war heute Nachmittag im Waisenhaus.«
    Der Atem des kräftigen Jungen schien schneller zu gehen.
    »Im Waisenhaus.«
    Er konnte ihn ein- und ausatmen hören.
    »Ich habe die Akte gesehen.«
    Der Junge wandte den Blick ab.
    »Ich habe die Akten gesehen, Renato. Deine und ihre.«
    Ohne die Handgelenke des weißhaarigen Mannes loszulassen, ohne eine Miene zu verziehen, ohne sich von der Stelle zu rühren, sagte der Junge mit lauter Stimme: »Du gehst jetzt besser.«
    Die Tür zur Umkleidekabine ging auf. Der Alte nahm den Duft wahr, noch bevor er sie sah. Lavendel. Es war sie, die ihn verströmte.
    Sie kam mit gesenktem Kopf heraus, schob den Träger ihres B H s hoch und knöpfte die aus dem Faltenrock hängende Bluse zu.
    Während sie ihr blondes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammenband, warf sie dem Alten einen raschen Blick zu. Sie war kaum älter als fünfzehn.
    Dann hörte er ihre Schritte im Korridor, den Lärm vom Spielfeld, als sie die Tür öffnete, die in die Pfütze fallenden Tropfen, nachdem sie verschwunden war.
    »Wer sind Sie?«, fragte der Junge und ließ ihn los.
    »Ich will bloß helfen …«, begann der Alte und rieb sich die schmerzenden Handgelenke.
    »Wobei helfen? Wem helfen?«
    »Dabei helfen herauszufinden …«
    »Was herauszufinden?«
    »Wer für den Tod deiner Schwester verantwortlich ist.«
    »Ich habe keine Schwester«, unterbrach ihn der Junge, zog seine Unterhose aus und ging zu den Duschen hinüber. Er drehte den Wasserhahn auf. Rauschend schoss ein kräftiger Strahl aus der Dusche.
    »Ich war heute Nachmittag im Waisenhaus, Renato.«
    Der Junge seifte sich ein.
    »Wo deine Schwester aufgewachsen ist.«
    Das Rauschen des Wassers zwang den Alten, die Stimme zu erheben.
    »Bis sie zu Anita wurde.«
    Renato hielt sein Gesicht unter den Wasserstrahl. Er schloss die Augen und sagte etwas, was der Alte nicht verstand.
    »Deine Schwester Anita de Andrade Gomes«, sagte er und trat auf den Jungen zu.
    Das Wasser spritzte auf seine Schuhe und seinen Hosensaum.
    »Ist dir Dona Anitas Tod denn gleichgültig?«
    Die Lippen des Jungen bewegten sich, aber der Alte hörte nicht, was er sagte.
    »Ist es dir egal, dass deine Schwester ermordet wurde?«
    »Meine Schwester ist gestorben, als ich zehn war.«
    »Habt ihr euch nie getroffen? Hat sie dir nie gesagt, dass sie Angst vor jemandem hat?«
    Der Junge drehte die Dusche neben sich auf. Das Rauschen wurde stärker.
    »Hattet ihr keinen Kontakt?«
    Er wandte dem Alten den Rücken zu und öffnete den nächsten Wasserhahn. Dann alle anderen. Schließlich sah er den Alten wieder an.
    »Hat sie nicht nach dir gesucht?«
    Das Rauschen der aufgedrehten Duschen zwang den Alten zu schreien. Seine Schuhe und Strümpfe waren völlig durchnässt.
    »Was hast du gesagt, Renato? Deine Schwester starb, als du zehn warst? Hast du das gesagt?«
    Der Junge begann, mit obszönen Bewegungen sein Geschlechtsteil einzuseifen.
    »Aparecida ist mit fünfzehn gestorben, nicht wahr, Renato? Als sie ein junges Mädchen war. Mit fünfzehn. Ein halbes Kind. Also ist die Person, von der ich spreche, jemand anders. Es muss jemand anderes sein. Du bist schwarz. Sie war blond. Eine Weiße. Hast du vor, dir hier weiter vor mir einen runterzuholen? Schüttelst du dir für mich einen von der Palme? Willst du mich einschüchtern? Damit ich verschwinde? Ist das deine Absicht? Anita muss vielen Männern dabei zugesehen haben, wie sie das taten. Wie sie masturbierten. Ihretwegen. Auf sie. In sie hinein.«
    Der Junge ging zur letzten Dusche. Der Alte folgte ihm.
    »Die Frau, die ermordet wurde, kann nicht die Schwester eines Schwarzen gewesen sein. Sie war blond. Eine blonde

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