Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Tag der Unschuld

Der letzte Tag der Unschuld

Titel: Der letzte Tag der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edney Silvestre
Vom Netzwerk:
Fotos. Um ihn an die guten alten Zeiten im Seminar zu erinnern, wo er den Zahnarzt kennen lernte und die beiden enge Freunde wurden. Sie pflegten dort eine wahre, tiefe Freundschaft, standen sich sehr nah, waren einander äußerst zugetan.«
    »Das interessiert mich nicht.«
    »Aber das Foto interessiert Sie sehr wohl. Die Fotos. Der Kontaktabzug enthält mehrere Aufnahmen. Und es gibt noch viele andere. Eine ganze Truhe voller Fotos und Negative. Ich glaube, die interessieren Sie schon. Obwohl die Fotos erst kürzlich gemacht wurden und der Freundeskreis um neue Mitglieder erweitert wurde, zeigt der Kontaktabzug, den ich beim Bischof gelassen habe, dass diese enge Freundschaft noch immer …«
    »Wir vergeuden Zeit«, unterbrach ihn Bastos.
    »Vielleicht nicht. Wissen Sie, von welchen Fotos ich rede?«
    »Ich glaube ja.«
    »Die, die der Zahnarzt so gerne machte. Von seiner Frau mit …«
    »Ich weiß, was das für Fotos sind.«
    »Was Sie vielleicht nicht wissen, ist, dass die Polizei sie aus dem Haus des Zahnarztes abtransportiert hat. Seitdem sind sie verschwunden.«
    »Nein, sie sind nicht verschwunden.«
    »Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie ein Jeep …«
    »Ich habe sie.«
    Ubiratans Selbstgewissheit war dahin.
    »Die Negative auch«, fügte Bastos hinzu.
    »Aber dann …«
    »Sie sind alle bei mir.«
    Ratlos darüber, wie er weiter vorgehen sollte, versuchte Ubiratan Zeit zu gewinnen. Er nahm die Zigarette aus dem Mund, sah sich suchend nach einem Aschenbecher um und drückte sie, als er verstand, dass es keinen gab, an seiner Schuhsohle aus. Ein wenig Asche fiel zu Boden und verteilte sich im Büro, davongetragen vom Luftzug der Ventilatoren.
    »Diese Fotos …«, setzte er an, ohne zu wissen, wie er fortfahren sollte. »Sie …«
    Geraldo Bastos ging zur Tür und öffnete sie.
    »Weiter hatten Sie mir nichts zu sagen?«
    Verwirrt stand Ubiratan auf, eine Hand auf die gläserne Abdeckplatte des Schreibtischs gestützt, unwillkürlich der Aufforderung zum Gehen gehorchend.
    »Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sie ebenfalls an diesen …«
    Ihm kam das schlammbespritzte Foto wieder in den Sinn. Wie Hyänen, die ihre reglose Beute verspeisen. Ein ganzes Rudel. Das in einem offenen Unterleib herumwühlt.
    »War’s das?«, wiederholte Bastos.
    Ubiratan spürte einen leichten Schwindel. Wieder stieg vom Magen her Übelkeit in ihm auf und ließ ihn schaudern.
    »Ich dachte nicht, dass Sie auch auf diesen Fotos zu sehen wären.«
    »Bin ich auch nicht.«
    »Aber warum …«
    »Ich bin kein Exhibitionist und lasse mich nicht gerne fotografieren.«
    »Aber dann …«, sagte Ubiratan, während er sich mühsam aufrichtete. »Dann …«
    »Wie Sie selbst sagten, haben einige … Bekannte von mir – vielleicht berauscht von ihrer eigenen Hemmungslosigkeit und Dona Anitas erotischen Fähigkeiten – zugelassen, dass Doutor Andrade die pikanten Momente mit seiner Frau auf Fotos festhielt. Sie waren unvorsichtiger als ich. Deshalb hielt ich es für das Beste, die Fotos an mich zu nehmen. In den Händen einer skrupellosen Person könnten sie das Privatleben und die Karriere von Menschen zerstören, die mir teuer sind. Das würde ich niemals zulassen.«
    Ubiratan holte tief Luft. Er forschte in Geraldo Bastos’ Miene nach Anzeichen von Zynismus, doch da war nichts, nur die ebenmäßigen, unpersönlichen Gesichtszüge eines Mannes, dessen Familie offensichtlich seit Generationen keine Not leiden musste. Nicht einmal Ironie fand er. Vor ihm stand jemand, der sich allen Ernstes für eine moralische Instanz hielt.
    »Sie werden sie also vernichten«, schloss er und begab sich zum Ausgang.
    »Ja, das sollte ich wohl tun.«
    Sie standen nun direkt voreinander. Geraldo Bastos lächelte leicht.
    »Aber ich halte es für klüger, sie aufzubewahren.«
    Seine tonlose Stimme war unverändert. Doch in seinen Augen bemerkte Ubiratan ein Leuchten, das zuvor nicht da gewesen war.
    »Unser Bürgermeister ist ein unbeherrschter Mann, aber er hat ein kostbares Erbe zu wahren: den Familiennamen Marques Torres und die Erinnerung an die Verbindung zu Getúlio Vargas, die dieser Name hervorruft. Eine Verbindung, die diesem Bundesstaat einen gewaltigen Fortschritt beschert hat. Zahllose Industriebetriebe. Zahllose Arbeitsplätze. Zahllose Stimmen für seine Partei. Mit der nötigen Unterstützung wird Adriano Marques Torres bei der nächsten Wahl die meisten Stimmen in dieser Region holen. Möglicherweise wird er dann

Weitere Kostenlose Bücher