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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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und Schwester Everild.«
    »Richtig. Ich weiß nicht, wie viele dort entkommen sind, bevor die Morde passierten. Die Sekte hat ja keine Listen geführt. Das brauchten sie gar nicht, erzählten die Mädchen meinem Vater, weil Schwester Katherine ihre Gedanken lesen konnte. Sie wüsste zu jeder Zeit alles über alle. Verrückt. Immer wenn mein Vater irgendwelche Sektenmitglieder sah, die aus dem Tal kamen oder die Mine verlassen hatten oder über Land gingen, auf dem Weg nach Yuma oder Ajo, dann hat er sie mitgenommen und in seinem Auto in die Stadt gebracht. Er sagte, sie hätten nichts bei sich gehabt. Nur ihre Kutten und die Sandalen. Kein Geld. Kein Wasser. Kein Essen. Nichts. Aber die beiden jungen Frauen mit den Babys, das waren die Letzten, die er von dort gesehen hat.
    Als die Polizei ihm von den Morden berichtete, so erzählte meine Mutter, hätte mein Vater ganz lange geweint. Er war sehr traurig darüber. Weil sie die Kinder und das Mädchen nie fanden. Diese Priscilla, die sich bei uns verstecken wollte. Und er sagte meiner Mutter, dass er seine Familie auch in Gefahr gebracht habe. Dass die Tempel-Leute uns auch hätten umbringen können.«
    »Hat Ihr Vater die Sekte jemals bei der Polizei angezeigt?«
    »Sehr oft, ja. Er hat der Polizei von den Waffen und von den Flüchtlingen erzählt. Die Sektenmitglieder haben ja mitten in der Nacht in der Wüste geschossen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt hörte er sehr viel Gewehrfeuer. Das war im letzten Jahr. Da hat er dann die Polizei alarmiert. Aber die sagten ihm, er solle damit aufhören. Sie hätten Wichtigeres zu tun, als auf eine Horde verrückter Hippies aufzupassen. Sie taten nichts, bis es schließlich zu spät war. Hier rauszufahren dauert ziemlich lang, und sie sind nur ein einziges Mal in die Mine gekommen, bevor die Morde passierten. Danach erzählten sie meinem Vater, die Hippies seien zwar verrückt, aber völlig harmlos. Ist das zu glauben? Harmlos!«
    »Die Nacht, als die Polizei kam und die Morde entdeckte, was hat Ihr Vater darüber erzählt?«
    »Er hatte Angst. Er sagte, dass die Dinge in der Mine völlig aus dem Ruder gelaufen wären. Und zwar schon seit längerer Zeit. Zu meiner Mutter sagte er immer: ›Ich wusste, dass das schlimm enden würde.‹ Und er hat recht behalten.«
    »Hat er Ihnen gesagt, wie es alles anfing?«
    »Oh, er sagte immer, dass alles mit den Hunden anfing, die sie dort in der Mine hielten. Und mit den Pferden hier. Die waren verängstigt wie bei einem schlimmen Gewitter. Wir hatten auch zwei Hunde, und die trauten sich nicht unter dem Küchentisch hervor. Meine Mutter sagte dann, die Hunde würden weinen. Sie winselten und schauten zur Decke.
    Das mit unseren Tieren fing schon ein paar Monate vor der Mordnacht an. Die Hunde von den Tempelleuten bellten und heulten stundenlang drüben in der Mine. Und unsere Pferde und Hunde drehten total durch. Zwei Meilen weit entfernt. Einmal, erzählte mein Vater, wäre er in seinen Wagen gestiegen und sei dorthin gefahren, um von der Straße aus nachzusehen, was in der Mine vor sich ging. Sie hatten einen hohen Zaun drum herumgebaut, genau wie das flüchtige Mädchen gesagt hatte, mit Stacheldraht oben drauf. Es sah aus wie ein Gefängnis. Und die Hunde dort innerhalb dieses Zauns waren total durchgedreht. Aber mein Vater konnte keine Menschen sehen. Er sah nur die Hunde, die den Himmel anbellten und am Zaun entlangrannten, als würden sie einen Fluchtweg suchen.
    Außerdem sagte er, das Eigenartigste wäre der Nebel gewesen. Es hatte geregnet, und das Mondlicht war nur sehr schwach, aber die Mine sei von einem schmutzigen Nebel bedeckt gewesen. Den hatte er schon aus einer Meile Entfernung von der Straße aus gesehen. Irgendwie gelblich und dick, wie weit entfernter Rauch. Und über den Dächern der Hütten hätte die Luft sich bewegt. Als würde sie in der Hitze flimmern oder sich in Wellen bewegen. Aber er konnte nicht sehen, wo der Nebel anfing und wo er endete. In den Gebäuden waren keine Lichter an. Auf dem Gelände brannten keine Feuer. Nichts. Er konnte nur die Umrisse der Hütten sehen und den Zaun und die Hunde, und über allem senkte sich dieser Nebel herab. Er stieg nicht nach oben, wie Rauch von einem Feuer, sondern bewegte sich nach unten, so hat er es beschrieben. Als wäre da ein Riss oder ein Loch im Himmel. Als käme der Nebel aus dem Inneren von etwas, das sich über der Mine geöffnet hatte.
    Die Polizei sagte meinem Vater, der Nebel sei bloß Rauch von einer

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