Der letzte Tag: Roman (German Edition)
die letzten Worte kaum über die Lippen, und das bisschen Blut, das unter seiner blassen Haut überhaupt noch floss, schien sich noch tiefer in seinen Körper zurückzuziehen. »Wenn Gott will, dann bekommen Sie Ihren Film. Eines Tages. Und diese Geschichte …«
»Meinen Film? Max, ich werde den morgigen Tag womöglich nicht erleben. Es geht hier doch nicht mehr um diesen verdammten Film. Und so wie Ihre Wohnung aussieht, mit all den verrammelten Zimmern, würde ich sagen, dass es auch nicht mehr lange dauern wird, bis ein paar Ihrer alten Freunde bei Ihnen im Bett liegen.«
Max ballte kraftlos die Fäuste. »Bitte … sagen Sie so etwas nicht.«
»Sie sind wie die schlimmste Sorte Politiker. Sie haben mir immer noch nicht alles erzählt. Wir verschwenden hier unsere Zeit, Max!«
»Ich wollte ja jetzt darauf zu sprechen kommen.« Max holte tief Luft. »Morgen fliegen Sie nach Antwerpen. Und Sie …«
»Halt, halt, stopp! Antwerpen? Was hat denn Holland damit zu tun?
»Belgien.«
»Dann halt Scheiß-Belgien. Ich fliege nirgendwo hin. Haben Sie mir eben überhaupt zugehört?«
»In Antwerpen gibt es eine Galerie. Sie befindet sich im Privatbesitz einer Familie …«
»Max!«
»Verflucht noch mal, Kyle! Jetzt seien Sie doch endlich still!«
Kyle schwieg völlig verblüfft.
Max riss sich zusammen. »Danke. Also, die Galerie. In dieser Galerie befindet sich ein Gemälde, das Triptychon eines flämischen Meisters. Niclaes Verhulst. Ich glaube nicht, dass Sie schon mal von ihm gehört haben. Er war der Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns. Und er war ein Überlebender. Was er durchgemacht hat, kann man nur einigermaßen nachvollziehen und verstehen, wenn man seine Werke studiert. Es ist unmöglich, es auf eine andere Art zu beschreiben.«
»Gemälde …«
Max hob die Stimme. »In diesem außergewöhnlichen Werk sind die Antworten auf Ihre Fragen zu finden. Das Gemälde wurde seit den Zwanzigerjahren nicht mehr reproduziert. Damals wurden einige Fotos davon gemacht und als Miniaturen in einem Buch veröffentlicht, das schon lange vergriffen ist. Es gibt keine anderen Hinweise auf die Existenz dieses Triptychons. Das Gemälde wurde völlig vergessen. Die wenigen, die von seiner Existenz wissen, sind davon überzeugt, dass es im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Der Besitz dieses Kunstwerks hat oftmals … zu unglücklichen Vorfällen geführt. Aber ich kann Ihnen eine private Besichtigung ermöglichen.« Kyle versuchte, ihn zu unterbrechen, aber Max hob eine Hand und fuhr noch lauter fort. »Die Familie, in deren Besitz es sich befindet, ist ziemlich exzentrisch, genauso wie ihre Sammlung, aber im Laufe meiner Recherchen über den Tempel der Letzten Tage sind wir Freunde geworden. Und ich konnte feststellen, dass diese Familie durchaus bereit ist zu glauben, was wir alle erlitten haben. Tatsächlich ist es einer der Hauptgründe, weshalb sie das Gemälde der Öffentlichkeit vorenthält.« Max sah jetzt nicht mehr zu Kyle, sondern schien in unangenehmen Erinnerungen zu versinken. »Denn die gleichen Fehler wurden schon einmal begangen. In anderen Jahrhunderten. Und das mehr als nur einmal seit der Vollendung des Werkes.«
Kyle schüttelte den Kopf. »Max, ich habe keine Zeit, mich in Belgien herumzutreiben und nach einem Gemälde zu suchen. Hören Sie, Max … wir sind ernsthaft in Gefahr … in Lebensgefahr. Jetzt. Heute Nacht.«
»Wenn das so ist, dann ist unsere Zusammenarbeit beendet, und Sie können jetzt gehen.«
Kyle ließ sich auf seinen Stuhl fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Das war nicht gut. Hierherzukommen und zu erwarten, dass Max ihm die Wahrheit sagte, hatte überhaupt nichts gebracht, sondern nur zu neuen Lügen geführt. Zu weiteren Rätseln. Und nun sollte er noch eine Reise antreten. Wie lange noch? Bis er tot aufgefunden wurde, Mund und Augen weit aufgerissen vor Entsetzen? Oder überhaupt nicht gefunden. Er erschauerte. »Und wenn ich mich jetzt aus allem zurückziehe, bin ich dann gerettet? Und Dan? Geht es ihm dann wieder gut?«
Max schaute ihn ratlos an und hob die Hände in einer Geste, die zu bedeuten schien: Ich kann doch nichts daran ändern . »Ich hoffe es … aber ich weiß es nicht.«
Kyle grinste böse. »Erpressung also.«
»Ich würde es eher als einen Vorschlag bezeichnen.«
Kyle stand hastig auf. Max zuckte zusammen. Kyles ganzer Körper zuckte vor Wut. Am liebsten wäre er vor lauter Ärger und Verzweiflung in Tränen ausgebrochen. »Sie haben
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