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Der letzte Vorhang

Der letzte Vorhang

Titel: Der letzte Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Meyers
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Carlos
hatte ihr versprochen, daß sie sehr wenig mit Mort zu tun haben würde, aber
Versprechungen, Versprechungen...
    Von der Stelle aus, wo Wetzon stand und wartete,
daß die Ampel umschaltete, konnte sie die Anzeigentafel des Palace Theatre
sehen, nur wenige Straßen nach Norden, wo Disneys Musical Die Schöne und das
Biest zum Kummer der durchaus nicht schweigenden Theatergemeinde immer noch
lief. Als eine keine Kosten scheuende Runderneuerung des Films betrachtet, der
mit Eimern von Disneygeld aus den Kinos getrickst worden war, wurde es 1994,
dem Jahr seiner Nominierung, von den Juroren des Tony-Preises verschmäht. Die
Show mißfiel anscheinend allen außer einem Publikum, das normalerweise nicht
ins Theater ging — also heutzutage den meisten Leuten. Selbst die wenigen, für
die Theaterbesuche eine Familientradition bedeuteten, waren von unverschämten
Eintrittspreisen vertrieben worden. Und wer die Zeche zahlte, wollte für sein
Geld von der großen Show geblendet werden. Die Schöne und das Biest lief
jeden Abend vor restlos ausverkauftem Haus.
    Auf der anderen Seite des Broadways in der 45.
Straße, im Minskoff, gab man Sunset Boulevard, ein weiteres
Ausstattungsstück von Andrew Lloyd Webber, diesmal nach einem amerikanischen
Filmklassiker. Es war ein rauschender Erfolg, doch Wetzons Theaterfreunde
nahmen gegenüber Webber und seinem Pomp eine sehr zwiespältige Haltung ein. Er
hatte sich dem Broadway an den kollektiven Hals geworfen, und sie mußten ihn
widerwillig akzeptieren, weil er viele Zuschauer und deshalb das große Geld
hereinbrachte.
    Bei Disney allerdings hatten viele eine Grenze
gezogen. Die Zirkusatmosphäre bei Die Schöne und das Biest wurde zu
offensichtlich von den großen Mickymausvermarktern geschaffen. Vom Eingang bis
zum Sitzplatz wurden einem bis zum Überdruß Kleidung, Platten, Bücher
angeboten.
    Im Shubert schleppte sich immer noch Verrückt
nach dir hin und zog das Publikum an, und gegenüber vom Sardi-Gebäude lief weiterhin Der Kuß der Spinnenfrau, wobei die Titelrolle von Chita über Vanessa an
Maria Conchita übergegangen war. Weiter im Westen fühlte sich im schönen alten
St. James noch immer Tommy sehr wohl, wenn er auch nicht mehr vor vollem
Haus spielte.
    Der Wandel der Zeit am Broadway war einer der
Gründe, warum soviel Interesse an Combinations in concert bestand, das
Teil des alten Broadways war — Erinnerung an eine Zeit bot, als man sich die
Eintrittspreise noch leisten konnte und neue Stücke selten überinszeniert
wurden, um einem Publikum zu gefallen, das zwischen fünfundsiebzig und
fünfundachtzig Dollar für die Karte zahlte und vor allem nur sich selbst
präsentieren wollte. Ein Preis, den die Theaterleute — Darsteller,
Regiemannschaft und Theaterbesitzer — im Hinblick auf die eigene Tasche viel zu
hoch fanden.
    Die Wände von Mort Hornbergs Empfangsbereich
waren mit Plakaten jeder Show, an der er mitgewirkt hatte, bedeckt; ob Renner
oder Flop, jede hatte ihren Platz ohne Entschuldigung. In der Wand gegenüber gab
es zwei grifflose Türen, die beide fest verschlossen waren. Tatsächlich wirkte
der Raum wie luftdicht versiegelt, vermutlich weil es Mort zuwider war, wenn
sich jemand in seine Höhle wagte. Einmal, so erzählte man sich, mußte er
beschwatzt und bedroht werden, ehe er aus seinem Büro kam und einem Investor,
der gerade einen Scheck über hunderttausend Dollar auf ihn ausgestellt hatte,
die Hand schüttelte.
    An einem kleinen Tisch saß eine junge Frau, den
Hals in einem eigenartigen Winkel unter einem Vorhang aus langem blondem Haar
nach vorn gebeugt, und redete mit sich selbst. Sie hob den Kopf, um Wetzon
anzuschauen, ihr Haar teilte sich, und ein winziger Telefonhörer erschien
zwischen Schulter und Hals geklemmt. »Ja, tut mir leid«, sprach sie ins
Telefon, während sie unaufhörlich Sonnenblumenkerne aus einem Tütchen mampfte.
Ein blau eingebundenes Manuskript, das auf dem Schreibtisch lag, war mit Teilen
der Hülsen übersät. »Ah, klar.« Die junge Frau redete mit einem gekünstelten
britischen Oberschichtakzent. »Wenn Sie bitte eine Nachricht hinterlassen
möchten? Er ist im Moment nicht im Büro.« Sie hob eine Ecke des Manuskripts
hoch, wobei sie den Abfall verstreute, und zerrte einen Block Notizzettel
darunter vor. Nachdem sie die Nachricht notiert hatte, zog sie den Hörer durch
den Haarvorhang und legte auf.
    Es war eine Vorstellung, die es durchaus mit der
des Obdachlosen vor Paul Stuarts Schaufenster aufnehmen

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