Der letzte Walzer in Paris - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a
verunzierten Fassade des Hauses Rue Parron Nummer 5 verbarg sich eine schäbige, versiffte Bar. Die Jahrzehnte hatten ihre Spuren an den Wänden hinterlassen, die fleckig und nikotingelb einen länglichen Raum einfassten. Teilweise war der Putz abgeblättert. Verblasste Plakate mit Motiven von Toulouse-Lautrec sollten wohl so etwas wie Atmosphäre schaffen. Seitlich befand sich ein langer Tresen aus den Siebzigerjahren. Einige Tische mit Veloursesseln in Dunkelrot standen in der Mitte des Raums. Nach hinten gab es einen Durchgang zu einem kleinen Treppenaufgang, der in den ersten Stock führte. LaBréa vermutete, dass in den Zimmern dort der eigentliche Bordellbetrieb stattfand.
An einem der Tische saß der Betreiber des Etablissements, ein etwa sechzigjähriger Mann mit Halbglatze und tiefer Narbe quer über der rechten Wange. Durch diese alte Verletzung wirkte sein Mund ein wenig schief. Er sah aus wie ein Kobold.
Neben ihm hatte Franck Platz genommen sowie Cédric Dupont, der Kollege von der Sitte. Dupont war ein vierschrötiger Endzwanziger, der den Eindruck vermittelte,
als sei mit ihm nicht gut Kirschen essen. LaBrea kannte ihn nur flüchtig, wusste aber um den Ruf, der Dupont vorauseilte. Er galt als scharfer Hund und unerbittlicher Ermittler in Sachen illegale Prostitution und Straßenstrich.
Franck deutete auf den Betreiber des Lokals.
»Das ist Monsieur Marcel Villiers, Chef. Er sagt, Mitte der Neunzigerjahre habe hier ab und zu eine junge Frau verkehrt, die ein Kind hatte. An den Namen der Frau kann er sich aber leider nicht erinnern.«
»Was heißt das: ›Sie habe hier verkehrt‹?«, wollte LaBréa wissen. »Hat sie bei Ihnen gearbeitet, Monsieur?«
Marcel Villiers schüttelte den Kopf.
»Gearbeitet hat sie hier nicht. Bei mir waren vier Mädchen, alle angemeldet, alles tipptopp. Was Illegales lief nicht. Stimmt’s?« Er blickte Dupont an und erwartete eine Bestätigung.
»Das hat auch niemand behauptet«, knurrte Dupont und streckte seine Beine aus.
»Sie kam ein paarmal in dem Winter, als eine Menge Schnee lag. Sechsundneunzig muss das gewesen sein. Und sie hatte einen Jungen dabei. Der war damals neun oder zehn Jahre alt.« Der Mann räusperte sich. »War natürlich etwas ungewöhnlich, denn sie kam meistens nach zehn Uhr abends. Und da sollte so ein Junge doch eigentlich im Bett liegen.«
»Kam sie ohne weitere Begleitung?«
»Zuerst, ja. Aber, wie gesagt, mit dem Jungen. Ich hab ihr gleich zu verstehen gegeben, dass das nicht ginge. Bei mir war Publikumsverkehr, Stammkunden und so, Sie verstehen. Das ist nicht gerade was für Kinder. Aber sie meinte, sie hätten im Moment keine Wohnung und wollten sich nur ein bisschen aufwärmen.«
»Wie oft war sie da?«
»Fünf-, sechsmal vielleicht. Aber die letzten Male nicht allein. Sondern mit jemandem, den ich kannte.«
»Und zwar Patrice Montana«, fügte Franck rasch hinzu.
»Genau.« Villiers nickte. »Den kannte ich noch, als er als junger Spund nebenan in der Fischhalle gearbeitet hat. Die gibt es jetzt nicht mehr.«
»War er der Freund der Frau? Vielleicht der Vater des Jungen?«
»Nein. Das hab ich ihn nämlich mal gefragt. Er sagte, er wär’s nicht. Doch mit dem Jungen schien er sich gut zu verstehen.«
»Und Sie wissen wirklich nicht den Namen der Frau? Woher sie kam, was sie machte?«
»Was sie machte, war ziemlich klar. Straßenstrich. Schnelle Nummern im Auto. Patrice fand das wohl nicht so toll, denn er fragte mich mal, ob sie nicht bei mir in der Küche arbeiten könnte oder als Putzfrau. Aber ich brauchte niemanden, denn damals lebte meine Frau noch.« Er überlegte einen Moment. »Und woher sie kam? Keine Ahnung. Irgendwo aus der Banlieue,
vermute ich. Genau wie Patrice. Aber sicher bin ich da nicht.«
»Wissen Sie denn noch, wie der Junge hieß?«
»Nein. Aber es war eindeutig ihr Sohn. Er hat sie Maman genannt. Pausenlos starrte er meine Mädchen an. Er hat natürlich mitbekommen, dass die ab und zu mit einem Freier nach oben verschwunden sind. So ein Kind macht sich da schon seine Gedanken.«
»Und Patrice Montana? War der auch ein Freier?«
»Ja, aber wenn er mit der Frau und dem Jungen kam, lief da nichts. Er hat der Frau ein paar Drinks spendiert und dem Jungen ’ne Cola. Dann gingen sie zusammen weg.«
»Eigenartig, dass er mit den beiden hierher zu Ihnen kam.« LaBréa fasste den Mann scharf ins Auge. »Warum wohl? Hatte er keine Wohnung, wo er sie unterbringen konnte?«
Villiers zuckte mit den
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