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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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die Umgebung, umso einfacher würden wir einen Vampir oder einen WOKOP -Verfolger erkennen. Iowa. Nebraska. Wyoming. Utah. All diese unglamourösen Staaten voller versengter Weite, riesige Arenen für die ungeheure Geometrie aus Licht und Wetter. Hier ist die Hauptbeschäftigung noch immer planetarischen Ausmaßes, eine behäbige innere Bewegung der Massen und Druckverhältnisse, die zu immensen Zufällen von Schönheit werden: Gewitterwolken wie schwebende Ambosse, ein plötzlicher Blizzard. Die geologische Zeit, so geht einem auf, tickt noch immer.
    »Aber du hast doch gesagt, es gibt bei der WOKOP Exorzisten«, sagte Talulla. »Was exorzieren die denn?«
    Man kehrt zur Metaphysik zurück, wenn auch nicht mehr so dringlich. Man geht davon aus, dass andere Phänomene schon ins Bild kommen werden. Aber wenn das Bild unendlich ist, welchen Unterschied machen denn da schon ein halbes Dutzend neuer Arten? Talulla ging das auch auf. Sie saß mit merkwürdiger Akkuratesse auf dem Beifahrersitz neben mir, Knie zusammen, Hände in den Jackentaschen. Sie hatte sich das Haar hochgesteckt, und ihr schlanker bloßer Hals verlieh ihr einen Hauch von erschreckender Verletzlichkeit.
    »Dämonen«, antwortete ich. »Soweit ich weiß. So nennen sie die. Das ist deren Ausdrucksweise.«
    »Also Himmel und Hölle, richtig? Dämonen und Engel. Gott und Teufel.«
    »Man sollte meinen, ich wüsste in der Zwischenzeit mehr darüber, oder?« Mir wurde ganz überraschend klar, wie lange ich nicht mehr an solche Dinge gedacht hatte, wie diese Fragen sich abgeschwächt hatten. Ich hatte nur eine verschwommene Erinnerung an spätnächtliche Unterhaltungen mit Harley, auch wenn ich seine Ansichten dazu ganz gut kannte: Es gab ein übersinnliches Reich, in dem viele Sprachen gesprochen wurden. In der einen Sprache war Isis ein Wort, in einer anderen Gabriel. In einer dritten Aphrodite. Wir bekamen immer nur die Sprache. Wir selbst waren eine Sprache. Das Etwas
hinter
den Wörtern blieb unbekannt. Natürlich: Das Wort war bei Gott. Aber welchen Nutzen hatte sie davon?
    »Aber hast du so etwas schon gesehen?«, fragte Talulla. »Dämonen?«
    »Ich habe schon Menschen gesehen, in denen etwas war, das nicht sie waren, sondern definitiv etwas ganz Eigenes. Ich habe gesehen – eher gespürt wohl –, wie es sie verließ.«
    »Und war es böse?«
    Das ist natürlich die Krux. Es ist eigentlich egal, um welche Sprache es sich handelt, aber nicht, ob ihr eine übersinnliche moralische Grammatik zugrunde liegt. Niemand kümmert sich sonderlich darum, wie die Hölle heißt oder wer sie leitet. Es will nur einfach keiner hin.
    »Es fühlte sich an, als wollte es den Menschen Schaden zufügen«, antwortete ich. »Aber nicht so, als hätte es irgendeine Wahl. Das Böse muss erwählt sein.«
    Talulla behielt die Hände in den Taschen und starrte auf die Straße vor uns hinaus. Das war das Problem beim Reden. Früher oder später kamen wir auf den Punkt. Früher oder später kam alles auf den Punkt.
     
    Am Abend des fünften Tages nach New York hielt ich in der Mitte von Nirgendwo an, um Wasser zu lassen. Der Sonnenuntergang war ein Spalt zwischen Land und Wolke, wie ein schmales Auge oder ein zerschlagenes Eigelb aus Licht, rosa, gold, malve, grau. Links und rechts flache Prärie bis zum Horizont. Der Effekt: Die Erde ist eine Scheibe aus blassem Gras. Vor uns lag die Straße bis zum Horizont; drehten wir uns um hundertachtzig Grad, war dort dasselbe zu sehen. Talulla stieg aus, reckte sich, lehnte sich an den Kofferraum und zündete sich eine von meinen Zigaretten an (ich hatte ihr gesagt, dass Rauchen ihr keinen Schaden zufügen würde, und sie hatte gemeint, okay, egal, habe ich wenigstens was zu tun). Wir hatten noch nicht darüber gesprochen, wohin wir fuhren oder was wir dort machen sollten, aber dieses Unausgesprochene war für sie wie Fliegen auf der Haut, jede Stunde, jeden Tag mehr. In den letzten zwei Nächten hatte uns der Hunger im zitternden Licht des Fernsehers wach gehalten, wir hatten Bourbon getrunken, es miteinander getrieben, bis wir wund waren, hatten keinen Trost darin gefunden, still zu liegen.
    »Als ich in die Wüste fuhr«, meinte Talulla und sah zum Horizont hinaus, »bin ich hundert Meilen gefahren, ohne etwas anderes zu sehen als leere Landschaft.« Sie trug eine schwarze Lederjacke, Jeans, einen cremefarbenen Rollkragenpullover. Ich dachte an ein paar Zeilen aus einem Gedicht von Thom Gunn:
Am abkühlend tickenden Wagen gelehnt,

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