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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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erwachte der Mond und schickte eine Warnung, ein (menstruelles, was weiß ich) Ziehen im Blut des Unterleibs. Wir hätten genauso gut zwei schwere Fische an einer schwachen Leine sein können, die von einem Invaliden eingeholt wurde – aber einem, der zaubern konnte, so unwiderstehlich war das bisschen Kraft.
    Sofort ließen wir die (wenigen) Überreste unseres Opfers liegen und sprangen wie zwei Köter in der Hundefutterwerbung durch die offene Tür hinaus über die Balkonbrüstung, verschwanden im Wald, der mit uns gemeinsame Sache machte, und in die Schwaden der zur Neige gehenden Nacht. Meine wieder in Gang gesetzte innere Uhr sagte, dass es keine Stunde mehr bis Monduntergang war.

45 .
    Wir rannten und warfen uns Drews Seele zu wie Teenager, die Kaugummis tauschen. Tau fing sich im Fell. Der Wald huschte harzig undeutlich vorbei. Eine halbe Meile von der Stelle, wo wir angefangen hatten, erhaschte ich den Geruch meines eigenen Urins, bog scharf links ab, tauchte mit Talulla auf meinen Fersen durch ein Nebelband und stieß nach wenigen Minuten auf den markierten Baum. Mit einem Satz sprang ich hinauf, und da war der Rucksack, taubedeckt, aber der Inhalt trocken und voller Düfte der Zivilisation. Ich hatte Schwierigkeiten mit den Karabinerhaken (es gibt nun mal auf dem Markt kein Produkt, das Werwolfkrallen berücksichtigt), aber ich widerstand dem Drang,
das Ding einfach aufzureißen
, und nach ein paar Augenblicken geduldigen Probierens hatte ich ihn geöffnet und alles verstaut. Dann ließ ich mich zu Boden fallen.
    Durch den schnellen Lauf zurück hatten wir noch zwanzig Minuten Zeit. Wir lagen nebeneinander, fassten uns aber nicht an, waren stumme Zeugen von Pans weltweit ignorierter Dämmerungssuite, ein sanftes Ausatmen durch Gras und Blattwerk, das Flattern kleiner Flügel, das mit sich selbst beschäftigte Eilen der Käfer, das Glitzern des Wassers. Die Welt, dachte Lula, tropft, wimmelt, fließt schier über vor Wundern. Und wir leben in der milchigen Plastikblase aus Fernsehen und Alkohol. Du solltest Tagebuch schreiben, schickte ich ihr als Gedanken, doch es war schon zu spät: Die Verwandlung hatte sie erfasst. Ihre animalischen Rezeptoren brannten durch. Ich streckte die Hand nach ihr aus, doch dann fiel mir ihr
Fass mich nicht an
wieder ein, und ich unterließ es. Talulla kroch auf allen vieren in einem großen Halbkreis umher, fiel um, rollte sich zusammen. Der Mond ging unter, ein winziger Schmerz, das Reißen der letzten Faser, die einen schon nahezu albern wackligen Zahn festhält. Talulla krümmte sich, die Zähne fest zusammengebissen, zuckte rhythmisch, so als klopfe sie den Takt zu etwas. Schleim rasselte ihr in der Schnauze.
    Wieder war sie mir voraus, sie saß da, holte tief Luft und nutzte die Gelegenheit, die wilde Körperrückbildung von Jake Marlowe zu beobachten.
    »Danke, dass du nicht gelacht hast«, sagte ich, als ich mir sicher war, wieder sprechen zu können.
    Sie erwiderte nichts darauf, war immer noch inwendig damit beschäftigt, zu sich zurückzukehren. Ihre Augen waren groß, strahlend, mörderrein. Ich half ihr dabei, sich zu säubern (diesen Feuchttüchern ist es gleich, ob sie Blut und Eingeweide wegwischen oder Ketchup und Bratensauce), und ich spürte die sprachlose Umgruppierung ihrer menschlichen Bestandteile, spürte den Schock und die Abscheu, dass sich hier
wieder mal
die schlimmste Entweihung abgespielt hatte, jenseits allen Verzeihens, jenseits aller Möglichkeiten der Absolution. Kurz darauf (ihr Blick wurde härter) das Wissen, dass Schock und Abscheu sich bereits als unzureichend herausgestellt hatten. Sechsmal. Jetzt sieben. Blieb nur noch die pulsierende Tatsache, dass sie sich mit dieser Seite ihres Selbst abfinden musste, ansonsten gab es nur noch den Tod.
Ich weiß, was du durchmachst
, wollte ich sagen, behielt es aber für mich. Abgesehen von den psychischen Mühen war sie sichtlich vollkommen fertig von dem Fluch. Ich alter Knacker hatte schon vergessen, wie es früher mal gewesen war, ohne Aura, mit wundgescheuertem Bewusstsein. Da will man um alles in der Welt nichts
reden
.
    Ich packte die Waschsachen ein und warf Erde über die Stelle, wo Talulla sich am Vorabend übergeben hatte. Dann setzte ich den Rucksack auf und kontrollierte zur Vorsicht noch mal alles. Abgesehen von dem verblassenden Geruch des Werwolfurins gab es keinerlei Spuren, dass wir hier gewesen waren.
    Eine Stunde später kamen wir nebelfeucht und vollgefressen am Auto an. Mir

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