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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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sie einfach nur zu halten, zu küssen, sie anzuschauen‹, denkt man. Das Fenster fuhr hoch. Ein letzter Blick, wie sie über die Kante hinweg zu schauen versuchte. Die sanften dunklen Augen.
    »Das war’s, Chef«, sagte der Mann und legte auf. Sekunden später war der Van weg.

55 .
    Etwas ist mit mir passiert. Ich habe aufgehört zu abstrahieren. So ist die Liebe: Man grübelt nicht mehr über das Universelle nach, das Allgemeine, sondern wird stattdessen vom Örtlichen, Besonderen verschlungen: Wann werde ich sie wiedersehen? Was machen wir heute? Gefallen dir diese Schuhe? Theorie und Reflexion sind zerbrechliche alte Onkel, die von den Taten und Begierden grober Neffen beiseitegeschoben werden. Themen lösen sich in nichts auf, nur Handlung bleibt. Madeline hatte von Anfang an recht mit ihren Prioritäten.
    Mir war diese Veränderung erst aufgegangen, als ich diese letzten Seiten noch einmal durchgelesen hatte und sich mir nun die daraus folgenden Schlüsse einfach entziehen. Für einen Werwolf, der wohl seine letzten Stunden vor sich hat, fehlen Ihrem Erzähler bedauerlicherweise alle zusammenfassenden Sinnsprüche. Die großen Rätsel überleben, bleiben ungelöst, es gibt keine Einblicke in sie (nur in die Liebe, aber die ist kein Rätsel, sondern nur die Macht, die die Rätsel in den Straßengraben zwingt); ich weiß nicht, woher das Universum stammt oder was aus den Geschöpfen wird, wenn sie sterben. Ich weiß nicht, ob das Ganze ein Unfall oder undurchdringlicher Entwurf ist. Ich weiß nicht, wie man leben sollte – ich weiß nur, dass man leben sollte, wenn man das Leben denn erträgt. Man liebt das Leben, weil das Leben alles ist. Und ich weiß das nur, weil ich zufällig – erneut – die Liebe kennengelernt habe. Es gibt keine Gerechtigkeit, soviel weiß ich. Ganz schön wenig nach zweihundertundein Jahren.
    Mir schmerzt der Kopf an der Stelle, wo der Mond unter der Schädeldecke die Nacht verbracht hat, wie eine Pastille aus langsam schmelzendem Eis. In ein paar Minuten wird Llewellyn eintreffen und mich nach Beddgelert fahren. Ich habe nicht geschlafen, aber trotz der einsetzenden Prä-Fluch-Qualen geduscht, mich rasiert, mir Finger- und Fußnägel geschnitten. Ich habe keine sauberen Sachen, also habe ich Socken und Unterhose mit Shampoo gewaschen und auf dem Heizkörper im Zimmer trocknen lassen. Ellis meint, ich würde frische Sachen bekommen, wenn die Aufgabe erledigt sei. Den letzten Rest Talisker habe ich gegen Mittag ausgetrunken. Seitdem Kaffee und Camels, ab und an ein Glas Wasser. Es regnet halbherzig. Dieser Platz am Fenster ist mir ein trostloses Heim geworden. Die Aussicht geht auf den grauen Stadtrand hinaus: eine Straße, vorbeifahrende Autos, alte Damen, Schals um die Köpfe gebunden, Leute, die ihre Hunde ausführen, ab und zu ein erhitzter Jogger. Dahinter eine niedrige graue Mauer, ein schmaler Strand, die veränderlichen Farben der Menai Strait, Anglesey.
    Nicht mehr lange.
    Meine inneren Toten machen sich nun als stumme Gemeinde bemerkbar. Arabella, ihre Priesterin, ist verschwunden, und sie stehen noch immer unter Schock. Um ihre Leerstelle herum ist es wund, wie die weiche, blutgefüllte Lücke eines gezogenen Zahns. Was hat das zu bedeuten, dass ich meine Frau und mein ungeborenes Kind getötet und gefressen habe und nun erneut die Liebe in meinem Leben kenne – außer dass es keine Gerechtigkeit gibt und dass man leben muss, wenn man es denn erträgt?
    Genug. Meine Nerven sind am Ende. Nachdenken bekommt mir nicht mehr, hat keinen Platz neben der Liebe.
    Außerdem kommt gerade Llewellyn mit dem Wagen. Es ist so weit, so oder so.

56 .
    Niemand hat mich vergewaltigt. Zum einen, weil sie alle Angst vor Poulsom hatten und er das wohl untersagt hat. Zum anderen, weil das bedeutet hätte, mich zu töten: Eine Frau, die du vergewaltigt hast und die dich aufspürt, ist die eine Sache, eine
Werwölfin
eine ganz andere. Ein paar Stunden nach meiner ersten Entführung machte ich mir also darüber keine Sorgen mehr.
    Dann kam es zu der zweiten Entführung.
    Jake zu sehen war schwer gewesen. Er sah so fürchterlich aus. Diese Kratzer in seinem Gesicht, die wie eine Beleidigung wirkten. Er wirkte so allein, wie er im Hotelfenster stand. Sein Hemd war falsch geknöpft, um einen Knopf versetzt, und alles wirkte schief. Das Make-up auf meinem Gesicht kam mir obszön vor. Ich hatte, neben all den Millionen anderer Dinge, für ihn schön sein wollen – und irrsinnigerweise hatte das

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