Der letzte Werwolf
nicht (Er lacht nie, hatte Harley zu mir gesagt. Nicht, dass er es nicht kapiert. Belustigung bringt ihn nur nicht mehr zum Lachen. Darüber ist er weit hinaus).
»Finde ich auch«, pflichtete mir Ellis bei. »Eine verdammte Schande. Aber unglücklicherweise nicht meine Entscheidung.«
Mit allergrößter Verzögerung fragte ich mich, was Ellis vorhatte, wo er mir doch offenbar weder eine Silberkugel in den Schädel jagen noch den Kopf abtrennen wollte. Diese Frage beunruhigte mich, mein anderes Ich, dasjenige, das sich nicht im Augenblick vor Freude überschlug, weil ich gerade ein wenig ausatmen konnte.
Es klopfte. »Ihr Frühstück«, meinte Ellis. »Ich lasse Sie damit allein.« Er stand auf, stieg wieder über mich hinweg und öffnete die Tür. »Herein damit«, hörte ich ihn sagen, dann war er verschwunden.
Ein junger Bursche in Zetter-Livree und Gel im Haar kam mit einem riesigen Tablett herein.
»Ein Krampf«, keuchte ich. »Alles bestens. Stellen Sie es einfach aufs Bett.«
8 .
Harleys Handy war ausgeschaltet, als ich anrief, was bedeutete, dass er entweder in den Büros der WOKOP oder tot war. Ich konnte die feste Überzeugung nicht abschütteln, dass sie ihm auf den Fersen waren. Eine Stunde, nachdem Madeline gegangen war (ich verbrachte die meiste Zeit auf dem Bett und pflegte meine schmerzenden Eier, während sie mit akribischer Gier aß; sie gestattet sich nur ein Pfannengericht im Monat), kam ich zu dem Schluss, dass Ellis’ Besuch nur die Geschichte stützte, wie sie mich gefunden hatten. Die geistige Haltung des Kerls – indirekt, nebensächlich, möglicherweise zugedröhnt – machte es mir schwer, ihn zu deuten, aber es war schon komisch, wie er freiwillig damit herausgerückt war, dass sie es vermasselt hatten. Das einzige sinnvolle Motiv war WOKOP s Wunsch, die Illusion aufrechtzuerhalten, Harley sei unentdeckt geblieben. Was bedeutete, dass sie ihn aufgedeckt hatten.
Ich verbrachte den Nachmittag auf dem Rücken liegend mit einem kalten Waschlappen an die Stirn gepresst und verfolgte, wie meine Gonaden langsam wieder Ruhe gaben; auf dem Flachbildschirm lief CNN und hüllte mich in das einlullende Grundrauschen der Nachrichten. Ich bin immun gegenüber Nachrichten,
den
Nachrichten, frisch hereingekommen, aktuell, blitzschnell. Wenn man lang genug lebt, ist
nichts
neu. »Nachrichten« sind nur »das Neueste.« Das ist schon okay, bis mal hundert Jahre vorbei sind und man feststellt, dass es
nichts
Neues gibt, nur grundlegende Strukturen und Zyklen, die sich in unterschiedlichen zeitgenössischen Details wiederholen. Ich sehe das genau so wie Yeats mit seinen Kreisen, die Mitte hält nicht mehr. Selbst die Nachrichtensender wissen, dass es keine richtigen Nachrichten gibt, und strengen sich immer mehr an, ihren Themen immer größere Dringlichkeit zu verleihen.
Ihre Meinung ist gefragt
, das ist die neueste Albernheit, Nachrichtensprecher verlesen die E-Mails von Zuschauern: »Und Steve aus Birkenhead schreibt: ›Unsere Einwanderungsgesetze sind ein Hohn. Ist doch Irrsinn, wir können ja nicht die ganze Welt durchfüttern …‹« Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, als mich so etwas noch geärgert oder zumindest amüsiert hatte, dass die Demokratie, über die sich der Westen so aufregen konnte, genau jene Form war, die jeden bloggenden Blödmann zum Kritiker und jeden vor Wut schäumenden Fascho zum politischen Experten machte. Heutzutage fühle ich nichts mehr, nur stumme Distanz. Tatsächlich kommen mir die Nachrichten bereits postapokalyptisch überflüssig vor, so als ob ich (draußen stille Dünen, Insekten so groß wie Autos) in einem der Milliarden leerer Häuser hocke, mir Videoaufzeichnungen von all dem Kram anschaue, der mal wichtig war, und mich frage, wie nur jemand auf diese Idee hatte kommen können.
»Ich hatte Besuch«, erzählte ich Harley, als ich ihn gegen zwanzig Uhr aus der Bar des Zetter endlich erreichte. »Ellis war heute Morgen hier.«
»Hab ich gehört«, erwiderte Harley. »Überrascht mich nicht. Nach allgemeiner Übereinkunft der Jagdgesellschaft solltest du mit der Nase darauf gestoßen werden.«
»Darüber mache ich mir keine Sorgen. Das Ganze stellte sich nur wie der Versuch dar, mir die offizielle Story zu liefern, ›wie wir Sie aufgespürt haben.‹ Soll heißen, so haben sie mich eben
nicht
aufgespürt.«
»Jake, stopp. Du leidest an Verfolgungswahn. Ich habe selbst mit diesem Franzosen gesprochen.«
»Was?«
»Der Scheißer mit der
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