Der letzte Werwolf
würde, um gegen ihn anzukommen. Ach, es sollte wohl so sein. Harley brauchte das für sich selbst. Ich war da nebensächlich. Ich hatte ihn dazu gebracht: Harley war ein Mensch, dessen Daseinsberechtigung darin bestand, einen Werwolf am Leben zu halten.
»Okay«, gab ich nach.
»Das finde ich aber auch, verdammt.«
»
Okay
, sagte ich.«
»Na gut, um Himmels willen. Was schniefst du da überhaupt so rum?«
»Ich hatte einen Oban bestellt. Ich glaube, ich habe einen Laphroaig gekriegt.«
»Was du nicht alles erdulden musst, Jake. Man sollte dir eine Tapferkeitsmedaille überreichen.«
Wir gingen die kurzfristige Logistik durch. Natürlich wurde das Zetter überwacht. WOKOP hatte versucht, einen Agenten einzuschleusen, doch an dem Tag hatte eine internationale Pharmaziekonferenz begonnen und das Hotel war ausgebucht, auch für die folgenden achtundvierzig Stunden. Der Hoteldirektor kannte mich, und ich konnte darauf vertrauen, dass er leichte Störmanöver unternahm, doch die Angestellten waren bestechlich. Wir mussten davon ausgehen, dass alle meine Schritte beobachtet wurden.
»Gut für uns«, meinte Harley.
»Wieso?«
»Weil du morgen die Stadt verlässt und die Beobachter gleich mit. Ich kann ja keinen Abgang organisieren, wenn die ganze Organisation London überwacht. Ich bin gut, aber ich bin nicht Gott. Ich werde sie ablenken.«
So läuft das ab: Man wird aufmerksam, wartet, spürt, wie ein Teil ins andere passt, kennt die Freuden ästhetischer Unausweichlichkeit. »In Ordnung«, sagte ich.
»Was, kein Aufstand?«
»Ich hab noch was vor. Ich brauche Ruhe und Frieden. Ist es dir egal, wohin ich gehe?«
»Was hast du denn vor?«
Den Teil der Geschichte behalte ich für mich.
Arabella hatte mir in die Augen geschaut und gesagt: »Du bist es.
Du
bist es.«
»Ich muss noch was klären«, antwortete ich. »Hast du in Cornwall genug Spielraum?«
»An Cornwall habe ich auch gedacht.«
»Wir sollten die Telefone wechseln.«
»Keine Zeit. Wir müssen uns auf unser Glück verlassen.«
»Ich weiß nicht mal, ob die Züge fahren.«
»Jede Stunde ab Paddington oder Waterloo. Im Alamo-Büro in St. Ives habe ich einen Geländewagen für dich gebucht. Nimm den Ausweis von Tom Carlyle. Da ist noch was.«
»Was denn?«
»Vor drei Monaten hat jemand einen von Mubaraks Läden in Kairo überfallen. Die Wachen wurden mit schnell wirkenden Betäubungsmitteln ausgeschaltet. Keine Gewalt, ein Informant.«
Housani Mubarak, ägyptischer Händler gestohlener Antiquitäten. Zu besten Zeiten ging die Hälfte des gesamten nahöstlichen Handels durch seine Hände.
»Der Punkt ist«, fuhr Harley fort, »nichts wurde angerührt. Eine kleine Schachtel mit wertlosem Plunder aus dem Irak-Museum in Bagdad ist verschwunden. Mubarak ist völlig aufgelöst. Er kommt einfach nicht über die Tatsache hinweg, dass in der Schachtel nichts Wertvolles war.«
»Was war denn drin?«
»Quinns Buch.«
Einen Augenblick lang verschlug es mir die Sprache. Ich erlitt einen weiteren fürchterlichen Anfall von Bedauern und Entrüstung. Es war schmerzlich zu sehen, wie weit Harley zu gehen bereit war. »Harls«, erklärte ich sanft, »mach dich bitte nicht lächerlich.«
Quinns Buch, wenn es denn je existiert hatte, war das Tagebuch von Alexander Quinn, eines Archäologen des 19 . Jahrhunderts, der 1863 angeblich auf die Geschichte der wahren Herkunft der Werwölfe gestoßen war und sie in seinem Tagebuch festgehalten hatte. ›Angeblich‹ ist hier das Schlüsselwort. Weder Quinn noch sein Tagebuch schafften es jemals aus der Wüste heim. Vor hundert Jahren war ich mal idiotischerweise wie besessen davon gewesen, dieses Dokument zu finden. Heute konnten wir ebenso gut vom Weihnachtsmann oder von der Zahnfee sprechen.
»Ich sag ja nur«, erklärte Harley. »Es ist eine Möglichkeit. Du bist ja nicht der Einzige gewesen, der danach gesucht hat.«
»Ich suche nicht danach. Seit Jahren schon nicht mehr. Das ganze Zeug ist mir völlig egal geworden.«
»Genau. Du willst nicht wissen, wie alles anfing. Du willst nicht wissen, was das alles zu bedeuten hat.«
»Ich weiß schon, was das alles zu bedeuten hat.«
»Was?«
»Nichts.«
Wieder Stille in der Leitung. Die schier aus allen Nähten platzende Beharrlichkeit des Realen und Harleys offenkundiges Bemühen, das einfach zu ignorieren. So würde es wohl bis zum Ende bleiben, er würde Augen und Ohren verschließen und kein Wort darüber verlieren, bis es nicht mehr zu leugnen war, dass
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