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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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will nur bis zum nächsten Vollmond am Leben bleiben, damit ein Mann, dessen Vater ich vor vierzig Jahren getötet und gefressen habe, mir den Werwolfschädel abtrennen oder eine Silberkugel ins Werwolfherz jagen kann.«
    Cloquet stützte sich auf Knie und Ellbogen, offenbar entspannten sich Gesäß, Hoden und Magen in dieser Position am besten. »Mir ist nicht gut«, stöhnte er. »Ich habe viel Blut verloren.«
    »Kaum einen Tropfen. Seien Sie nicht so eine Memme. Hier, nehmen Sie was.« Ich gab ihm das Kokaindöschen. Kurze Pause. Zwei Schniefer. Ein befriedigtes Stöhnen.
    »
C’est bon. Aie. C’est beau
. Werden die Vampire sie töten?«
    »Wer weiß? Wahrscheinlich bringen sie nicht genug Mumm auf?«
    »
Mümm?
«
    »Mut.«
    »Und was machen wir jetzt?«
    »Nichts. Beobachten und abwarten. Und wer zum Henker sind ›wir‹? Starsky und Hutch?«
    Cloquet kicherte heiser. Das Kokain hatte ihn aufgemuntert. »Eigentlich«, fing er an, »eigentlich wäre es mir lieber, Sie hätten sie gevögelt. Dann würden Sie verstehen. Dann würden Sie die Erhabenheit darin erkennen … Ihr Arschloch, zum Beispiel. Eine gestrenge, kokette, verdorbene Sekretärin aus Himmlers Vorzimmer –«
    »Ach, halten Sie die Schnauze. Ich muss nachdenken. Geben Sie mir eine Zigarette.«
    Es wäre am vernünftigsten gewesen, Cloquet das Genick zu brechen und zu verschwinden. Die Vampire wollten mich lebendig – na und? Das fügte zwar dem Vokabular meiner prekären Lage ein paar Wörter hinzu, änderte aber nichts an der Grammatik.
    Abgesehen von Quinns Buch. Die widerliche Geschichte. Wilde Hunde und Leichen und der Eisengeschmack uralter Erinnerungen. Die kurz bevorstehende Aufklärung war ein pochender Kopfschmerz, der nicht nachlassen wollte.
    Ich zündete mir die Zigarette an und zog kräftig. Die Tatsachen blieben unverändert, ganz gleich, wie lang ich hier stand und mit ihnen jonglierte: Entweder stimmte die Geschichte, oder sie stimmte nicht. Entweder hatte Jacqueline das Buch, oder sie hatte es nicht. Wenn sie es hatte, dann kam ich entweder daran, oder ich ging einfach davon. Wenn ich darankam, würde das alles verändern, oder alles blieb beim Alten.
    Gleichzeitig die innere Stimme einer Professorin für Amerikanische Kulturwissenschaften: Nur in der Bedeutung liegt der Unterschied, und wir alle wissen, es gibt keine Bedeutung. Alle Geschichten drücken nur den Wunsch nach Bedeutung aus, sind aber nicht selbst Bedeutung. Deshalb ist der Glaube daran, die Geschichte könne etwas verändern, reine Illusion.
    Cloquet lag nun auf der Seite und hatte die Knie angezogen. In der Dunkelheit konnte ich nur seine großen, feuchten schwarzen Augen erkennen, die nicht blinzelten, und das Aufblitzen des Flachmanns. »Ich hab Hunger«, sagte er. »Sie haben nicht zufällig was Essbares bei sich?«
    Mir fiel das Fernglas wieder ein, und ich suchte seine Taschen danach ab.
    »Es gibt einen kleinen Laden im Marais«, fuhr er fort, ohne sich weiter um meine Suche zu kümmern, »da gibt es die besten Windbeutel der Welt. Für eins ihrer Vanille-Eclairs würde ich einen Mord begehen. Das ist das Schöne daran, kein Model mehr zu sein. Ich kann essen, was ich will.«
    »Sie waren wirklich mal Model? Das ist ja zum Brüllen. Hier, nehmen Sie die.«
    »Meine Cashews. Gott sei Dank. Aber eigentlich will ich was Süßes. Wenn sie kommt, dann schaut sie einen mit von reinstem distanziertem Hass erfüllten Augen an. Diese Verachtung … genau das ist es. Ich habe Jahre damit verbracht, eine Frau zu finden, die mich zutiefst verachtet.«
    Das Fernglas war nicht sonderlich hilfreich. Madame Delon hatte Sci-Fi-Technik in ihre Fenster einbauen lassen; sie waren trotz fehlender Gardinen oder Jalousien vollkommen undurchsichtig. Drei ihrer Sicherheitsleute in Daunenjacken und Tarnhosen waren zu sehen: zwei am Boden, einer auf dem Dach. Sie gingen auf und ab, kauten Kaugummi, rauchten, sprachen kurz leise miteinander. Die Fichten wirkten wie eine dunkle, brüderliche Präsenz um uns herum. Cloquet knabberte seine Nüsse und atmete durch die Nase. Es wurde ungemütlich kalt. So verging eine Stunde.
    »Sie wird verhandeln«, meinte Cloquet und schniefte erneut etwas Koks. »Sie wissen nicht, wie sie arbeitet. Wissen Sie von den afrikanischen Kindern? Angola, Nigeria, Kongo. Kinder, die der Hexerei beschuldigt werden. Sie nimmt sie den Eltern ab und zahlt großzügig dafür. Und dann? Was glauben Sie, macht sie mit –«
    »Still! Verdammt, beinahe hätte ich

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