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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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aber darauf, mich außerhalb der Stadt mit ihnen zu treffen, um weitere Instruktionen zu geben und Unterschriften zu leisten. (Solche Meetings sind reines Theater. Ich trage eine Maske – Richard Nixon, Marilyn, der Wolfsmann – und ich rede mit Akzent. Die wahre Identität wird zum einen durch Zahlencodes und zum anderen über Fingerabdruckerkennung mit einem tragbaren Lesegerät hergestellt. Alles mühsam und nur für den Notfall.) Ich mietete mir am JFK -Flughafen einen Wagen und fuhr nach Philadelphia. Eine Gelegenheit, wie ich fand, um zu prüfen, ob ich überwacht oder verfolgt wurde. Die Ergebnisse waren uneindeutig. Keine Spur von den Untoten, aber ich glaubte, in Philadelphia ein paar WOKOP -Agenten auszumachen. Ich stellte den Wagen am Flughafen ab, flog nach Boston, trieb mich einen Tag lang in der Stadt herum und nahm dann drei Tage lang einen Flieger nach dem anderen: Detroit, Indianapolis, Washington, Philadelphia. Ich holte den Wagen ab, fuhr zum JFK zurück und nahm ein Taxi in die Stadt.
    Dort lief ich beinahe einem Vampir über den Weg.
    Ich stieg gerade an der Fifth Avenue aus dem Taxi, als er ein Delikatessengeschäft verließ und das Zellophan von einer Schachtel American Spirits riss. Der Gestank überfiel mich, als ich halb aus dem Wagen war. Ich ließ mich auf dem Bürgersteig auf ein Knie sinken, eine Art spontaner Verbeugung. Dann blickte ich auf und sah, wie er mit einem Ausdruck zorniger Abscheu auf dem Gesicht stehen geblieben war. Ich kannte ihn nicht. Groß, langes Gesicht, kurze, purpurrot gefärbte dicke Haare. Engsitzende Jeans, dreiviertellanger Ledermantel, orangefarbene Converse an den Füßen. Bei einem Menschen würde man sagen Cyberpunk, Mitte zwanzig. Ich erhob mich. Ein paar Augenblicke standen wir nur da, wir starrten uns an, uns wurde übel. Er wirkte, als sei neu für ihn, wie gottverdammt übel einem dabei wurde, wenn man einem Werwolf begegnete. Überflüssig zu sagen, dass um uns herum Manhattan brandete, hupte, glitzerte, strahlte, dampfte, pfiff, johlte und unterirdisch schauderte. Schließlich schüttelte er den Kopf, wich zurück, machte kehrt und stolperte in Richtung Downtown davon.
    »Zufall, richtig?«, fragte Talulla. »Er hat dich doch nicht verfolgt, oder?« Wir waren ins Waldorf Astoria in eine Suite mit Blick auf die Park Avenue gezogen. Ich war wieder Matt Arnold. Mit all den Pseudonymen kam ich nicht gut klar.
    »Ich glaube nicht«, antwortete ich. »So langsam komme ich drauf. Ich war davon ausgegangen, dass alle Vampire von dem Virus wissen. Tun sie aber nicht. Die Familien kämpfen um Einfluss. Warum merke ich das jetzt erst?«
    Talulla saß in einem der roten Rokoko-Lehnstühle der Suite und hatte ihre Füße auf einen Schemel gelegt. Wir spielten unseren Zustand, also das, was wir waren, mit freundlicher Umsicht aus. Die grausige zentrale Tatsache durchzog alles, was wir taten, erfasste uns aber nur dann völlig unironisch und allumfassend, wenn wir miteinander schliefen. Im Bett war
Wolf
äußerst übelriechend beredsam, und vor dieser geruchsintensiven Wahrheit verblasste alles. Außerhalb des Betts räumten wir diese Tatsache ein wie ein kinderloses Paar, das übereinkommt, sich einen fiktiven Sohn zu erfinden, Ausgangslage (Gott ist tot, usw.) von Edward Albees
Wer hat Angst vor Virginia Woolf?
, wenn ich recht überlegte. Es schien so, als wollte jeder von uns den anderen herausfordern zuzugeben, dass es nicht stimmte. Eigentlich wollte Talulla das von mir hören. Wollte mich fragen. Das erinnerte mich daran, wie neu der Fluch noch bei ihr war, dass sie noch immer eine solche Bereitschaft zeigte zu glauben, die ganze Sache – sich einmal im Monat in ein Ungeheuer verwandeln, Menschen töten und fressen – könne sich vielleicht doch noch als grausiger Albtraum entpuppen. Wir hatten die Frage vermieden, warum sie nach England gekommen war, aber ich wusste es: Fünf Opfer, ganz gleich, wie weit auseinander sie in den Staaten gelebt hatten, waren ihr zu nah gewesen. Man geht in ein anderes Land – rein, zuschlagen, raus –, die Polizei sucht nach einem Einheimischen, man ist schon lange weg. England, weil man dort Englisch sprach. Du willst dich möglichst umfassend verständlich machen können. Talulla wusste, dass ich darauf gekommen war. So lernte ich ihren schuldbewussten Gesichtsausdruck kennen, der Blick einer Nachrichtensprecherin vor der Kamera, wenn jemand ihr ins Ohr sagt, er wisse alles über ihre Abtreibungen oder die schmutzigen

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