Der letzte Werwolf

musste, das Versprechen dunkler Enthüllungen. Alles offenkundig Böse birgt ein solches Versprechen. Das ist eine Lüge. Es gibt keine dunklen Enthüllungen, weil es das Böse nicht gibt. Was immer du tust – ein Kind missbrauchen, eine Million Menschen vergasen –, ist nur etwas, das man tun kann. Dem Universum ist das egal. Ganz sicher bekommt man im Gegenzug kein göttliches Wissen dafür. All das Wissen und die Göttlichkeit stecken schon in dir, während du tust, was immer du tust. Wer könnte das besser wissen als ein Ungeheuer?
    Dennoch schwoll mein Glied neben der feuchten Wärme ihrer Hand an, sie nahm es, hielt es fest; das war all das Eingeständnis, das der Augenblick verlangte.
    »Typhus«, antwortete ich. »Arme Emily. Sie war erst zweiundzwanzig. Und Jacob junior gerade mal ein Jahr alt.«
    »Geburts- und Sterbeurkunde gefälscht.«
    »Genau. Ich folgte ihnen nach einem Herzversagen 1885 selbst ins Grab. Ich ließ mir für meine Rückkehr als Jacob junior einen beeindruckenden Schnurrbart wachsen, trug eine Brille, schnitt mir die Haare anders. Auch mein Akzent hatte sich verändert. Im Allgemeinen sehen die Menschen, was man sie sehen lassen will.«
    »Und die echten Kinder? Die müssen doch in aller Herren Länder zu finden sein.«
    Oh.
    Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, hätte sie sie am liebsten wieder rückgängig gemacht. Das waren die letzten Sekunden, bevor etwas für immer vorbei war. Ganz kurz überlegte ich, ob ich nicht lügen sollte.
    »Wir können keine Kinder haben«, erklärte ich.
    Ich spürte, wie dieser Gedanke in sie einsank und den bereits dafür vorgesehenen Platz einnahm. Natürlich hatte sie es gewusst, geleugnet und dennoch gewusst.
    »Meine Regel ist ausgeblieben.«
    »Tut mir leid, Lu.«
    »Richard und ich wollten es gerade probieren. Dann hab ich das mit der Affäre rausgekriegt.«
    Eine Weile lagen wir da, ohne etwas zu sagen. Das Ruckeln des Zuges wiegte uns. Wie friedlich es wäre, so in den Tod überzugehen, dachte ich, sich immer tiefer einlullen zu lassen, ein Tunnel, der dunkler und dunkler wird, bis du schließlich in die Dunkelheit hinausgehst. Hinaus, regelrecht hinaus. Ich hielt Talulla in meinen Armen, so als würde dieses Im-Arm-Halten noch irgendeinen Unterschied machen (die kräftige männliche Umarmung wirkt auf die Empfängerin stets herablassend). Noch immer hielt sie mein Glied. Ich spürte, wie Trauer und Wut und Vergeblichkeit sie durchfuhren, spürte, wie sie ganz regungslos blieb. Es war so, als würde sie sich verbrennen und müsse es ertragen, ohne zu zucken oder ein Geräusch von sich zu geben.
    »Ich wusste es«, sagte sie dann. »Hab trotzdem weiter die Pille genommen. Ich schätze, jetzt wäre angebracht zu sagen: ›Ist wohl besser so.‹«
    Draußen riss der Nachthimmel immer weiter auf. Sterne.
    Dann plötzlich der Mond.
    »Und um noch mehr darauf herumzureiten …«, sagte sie und spürte die nicht zu ignorierenden Andeutungen von Besitzanspruch, wo das Mondlicht auf unsere Haut fiel. Als ich nichts darauf erwiderte: »Na, wenigstens habe ich einen Kerl, der weiß, wann man seinen Mund zu halten hat. Ich schätze, so was lernt man in zweihundert Jahren.«
    Auch ich spürte das Brennen, leise und ohne Schmerz, als sie mich auf den Rücken drehte und sich langsam auf mich setzte. Ein Brennen, ein beschleunigter Verfall, ein Zeitraffer von Verwesung, mein kopfloses Fuchstrio, dass in körnigem Schnelllauf von Kadavern zu Staub wird, dazwischen eine Orgie an Maden. Der Film wiederholte sich immer wieder, während wir es miteinander trieben (während
sie
es mit
mir
trieb), wurde nur unterbrochen, wenn sie sich zurücklehnte und der Mondschein auf ihrem Bauch und ihren Brüsten tobte. Der Film ging zu Ende, als ich kam. Eine Filmrolle, deren Ende weiter um die Spule peitschte.
    Talulla blieb halb auf mir liegen und schlief sofort ein. In ihrem Gewicht lag auch die Endgültigkeit der neuen Tatsache, ein brutaler Frieden, nachdem der Punkt nun angesprochen und aufgenommen worden war.
Wir können keine Kinder haben
. Irgendwann im Laufe des Sex hatte sie mich dafür gehasst, sie hatte gewusst, dass ich es wusste, und in mir selbst Platz für ihren Hass geschaffen hatte. Irgendwann im Laufe des Sex fand sich das Verständnis, dass Liebe unter anderem hieß, Raum für die irrationalen Rachegelüste des Geliebten zu schaffen.

40 .
    Wir mieteten uns einen Toyota, um nach Chicago zu fahren, hielten uns abseits der Freeways. Ich dachte, je leerer