Der letzte Weynfeldt (German Edition)
nicht erreichbar zu sein. Er kannte zwar inzwischen ihren Nachnamen, aber eine Lorena Steiner war der Auskunft nicht bekannt. Und sie hatte ihm weder ihre Adresse noch ihre Handynummer gegeben. »Don’t call us, we call you«, hatte sie ihm einmal gesagt. Das sei der Standardsatz gewesen, den sie nach jedem Casting zu hören bekommen habe. Und für sie befinde er sich immer noch im Casting für die Rolle ihres ständigen Begleiters.
Für Adrian hieß das, wenn sie ihn, wie heute, den ganzen Tag weder im Büro noch auf dem Handy angerufen hatte, blieb ihm nur noch die Hoffnung auf den Anrufbeantworter.
Die ersten beiden Nachrichten betrafen den Umbau, der dritte Anrufer legte auf, ohne eine Nachricht hinterlassen zu haben, der vierte fragte: »Wollte nur nachfragen, ob Sie meine Post schon bekommen haben«, und zuletzt hörte Adrian die Stimme des betrunkenen Rolf Strasser, der sagte: »Soso, ich glaub, wir fangen so etwa bei einem Milliönchen an und hören so etwa bei vier Komma eins Milliönchen wieder auf.«
Nichts von Lorena.
Was hatte wohl der mit der Post gemeint? Weynfeldt ging zur Sitzgruppe neben dem Wohnungseingang und nahm die Post vom Glastisch in der Mitte. Es war die übliche Mischung aus Werbung und Rechnungen. Nur ein Brief fiel aus der Reihe. Er war in Schreibmaschinenschrift an ihn adressiert und weder pauschal noch maschinell frankiert, sondern trug eine gewöhnliche Briefmarke.
Er öffnete den Umschlag und entnahm ihm einen gefalteten Flyer der Auktion.
Auf dem Rücken der nackten Frau hatte jemand eine Handynummer notiert. Und mit dem gleichen Kugelschreiber war die gusseiserne Verzierung in der oberen rechten Ecke des Salamanders eingekreist.
33
Von irgendwo weit oben war der Wassertropfen gekommen, Weynfeldt hatte keine Lust, den Blick zu heben. Jetzt war er jedenfalls etwas höher als seine Augenlinie. In seiner Spur musste Wasser fließen, denn der Tropfen schwoll an, bis er so schwer war, dass er ein Stück runtersauste und wieder hängenblieb. Jedes Mal, wenn das geschah, ließ er eine Spur Wasser hinter sich, die sich Zeit ließ, als wüsste sie, dass ihr der Tropfen nicht entkommen konnte. Sobald er stehengeblieben war, füllte er sich wieder mit dem Zurückgelassenen, bis er genug Ballast enthielt, um ein weiteres Stückchen vorwärtszuschnellen.
Seine Pupillen waren auf die Tropfen dicht vor ihm auf der Glasfront seines Arbeitszimmers eingestellt. Die Bürofenster lagen in der Unschärfe dahinter. In der Zeit, in der er da gestanden hatte, waren die meisten von ihnen dunkel geworden. Das hatte er nicht gesehen, sondern aus den winzigen Veränderungen in der Schattierung seiner Wassertropfen geschlossen.
So gelang es ihm immer wieder, seine Gedanken von dem Brief fernzuhalten. Und vor allem von der Frage, ob Lorena ihn verraten hatte. Eine leider sehr naheliegende Frage. Denn sie war die Einzige, die Bescheid wusste. Sie und Rolf Strasser.
Das lag noch näher. Ein Scherz von Rolf. Oder eine Erinnerung daran, dass er auch mit von der Partie sei bei diesem Geschäft. Immer wenn es ihm misslang, die Gedanken von der Lorena-Frage auf die Regentropfen zurückzuzwingen, rettete ihn die Strasser-Frage. Und wenn auch das nichts half, dann gab es noch die Option drei.
Die Option drei lautete: Jemand Drittes war, unabhängig von den beiden, von selbst darauf gekommen. Kein Laie, eine Fachperson. Von denen hatten sich viele in der Nähe des Bildes aufgehalten. Warum sollte nicht ein Experte so aufmerksam gewesen sein wie er selbst?
Ein Tropfen eilte aus seinem engen Blickfeld. Adrian fokussierte einen neuen.
Er hätte die Nummer anrufen können, dann wüsste er jetzt mehr. Er könnte sie immer noch anrufen, es war noch nicht sehr spät. Elf Uhr vielleicht. Er hatte keine Lust, auf die Uhr zu schauen.
Wenn er anrief, hätte er Gewissheit. Aber wollte er das? Wer will schon Gewissheit, wenn es um die Frage Liebe oder Verrat geht?
Der Tropfen wurde voller und schwerer. Er hielt sich lange, und als er sich endlich löste und mehr fiel als glitt, hinterließ er eine Spur aus winzigen Tröpfchen, die sich rasch zu einem dünnen Film glätteten.
Die Stimme auf dem Beantworter war ihm bekannt vorgekommen. Beim zweiten Mal würde er sie zuordnen können. Aber er weigerte sich, den Beantworter noch einmal abzuhören.
Morgen, vielleicht. Morgen.
Aber auch am nächsten Morgen rief er nicht an. Er weigerte sich, aufzuwachen, weil sein Unterbewusstsein ihm sagte, dass ihn eine schlechte
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