Der letzte Wille: Thriller (German Edition)
Nacht zwei Nächte lang einweichen ließ. Sie nahm Dub die Dose ab und überspielte ihre Irritation. »Hat sie dir das in die Mission gebracht?«
»Nein«, Mary Ann fasste sich wieder in die Haare. »Ich war zu Hause.«
Suppe war Trishas Geheimsprache. Trishas Suppe bedeutete Liebe und Zuhause; sie bedeutete, dass eine Mutter, die mit wenig Geld auskommen musste, ihre Kinder dennoch gut ernähren konnte; Suppe bedeutete Fürsorge. Wäre Trishas Leben ein Musical gewesen, hätte es damit geendet, dass alle ihre drei Töchter im Abstand von hundert Metern zu ihr wohnten, ein Dutzend wohlerzogener Kinder großzogen und sich jeden Morgen versammelten, um gemeinsam nach ihren Rezepten Suppe zu kochen. Tatsächlich aber war ihre älteste Tochter geschieden und wohnte unglücklich bei ihr im Haus; Mary Ann war Nonne geworden, was gut war, aber auch bedeutete, dass sie eine schrecklich schmeckende Suppe aus einem Sack voller getrockneter Zutaten zubereitete; und ihre jüngste kaufte überteuerte Suppen in Feinkostläden. Die mitgebrachte Suppe war als Vorwurf gegenüber einer Tochter gemeint, die nicht in der Lage war, sich selbst zu versorgen und ihren unehelich geborenen Sohn ordentlich zu ernähren.
Paddy nahm sie und stellte sie in den Kühlschrank. »Die essen wir später. Morgen vielleicht.«
Dub setzte sich wieder hin. »Oder wir lassen sie im Kühlschrank stehen, bis sie stinkt, und kippen sie dann ins Klo.«
Pete kicherte, weil Dub Klo gesagt hatte.
Mary Ann fand die Vorstellung schockierend und betrachtete ihren leeren Teller mit gerunzelter Stirn. Paddy setzte sich neben sie und versuchte das Thema zu wechseln.
»Was hast du denn zu Hause gemacht?«
Dub klatschte einen Haufen verkochte rote Pasta auf Mary Anns Teller. Sie sah zu, wie die Spiralnudeln widerwillig auseinanderfielen und sich auf dem kalten Teller verteilten. Normalerweise musste Mary Ann über alles kichern – wenn ein Hund vorbeirannte, jemand einen Bleistift fallen ließ oder sich beim Erzählen verhaspelte, sie musste über fast alles lachen – aber heute Abend lachte sie nicht. Heute sah sie zu, wie sich das matschige Abendessen auf ihrem Teller verteilte, und seufzte wie eine Erwachsene.
Dub und Paddy sahen einander an.
Paddy setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. »Was ist los?«
Mary Ann schüttelte den Kopf, als wollte sie einen unangenehmen Gedanken vertreiben.
»Ist Mum krank?«
»Nein.« Sie nahm ihre Gabel und stocherte in ihrem Essen herum.
»Bist du krank?«
»Nein.«
Betretenes Schweigen senkte sich über den Tisch. Es war Dubs Lieblingsessen und er aß, so schnell er konnte. Er schaufelte sich die Nudeln in den Mund, spülte sie mit einem großen Glas Apfelsaft herunter und entschuldigte sich anschließend, nahm Pete mit und ließ Paddy und Mary Ann zu zweit nebeneinander am Tisch sitzen. In ihrem Exil im Wohnzimmer stellten die beiden Männer den Fernseher laut und teilten ihnen auf diese Weise mit, dass sie sie nicht belauschten.
»Also?«
Mary Ann hatte nicht viel gegessen. Sie hatte langsam ihre Nudeln hin und her geschoben, eine Spirale über den halben Teller verfolgt und sie dann doch liegen lassen. Nun legte sie ihre Gabel weg. »Ich mag nicht mehr.«
Hätte man Mary Ann Hundewelpengulasch serviert, hätte sie es normalerweise schon aus Frömmigkeit und Dankbarkeit gegessen. Paddy wurde schlagartig bewusst, dass sie vor dem Essen nicht einmal gebetet hatten.
»Mary Ann, was ist los?«
Mary Ann bewegte sich nicht. Sie saß ganz still, starrte ihre Nudeln an und ließ Tränen auf die Tischplatte tropfen. Dann drehte sie sich zu ihrer Schwester um und sah sie an.
»Ich bin verliebt. In einen Mann. Er liebt mich auch.«
»Wer ist es?«
»Pater Andrew.«
»Von St. Columbkille?«
Sie nickte unglücklich, fasste sich erneut an die verhunzte Frisur und weinte. Paddy berührte Mary Anns Haar: Es war so weich wie das eines Babys.
»Haben sie dir das deshalb angetan?«
Aber Mary Ann weinte zu heftig, um sprechen zu können. Paddy trocknete ihr die Tränen mit einem Blatt Küchenpapier, das sie statt Servietten benutzten, aber es half nichts. Die Tränen trockneten nicht. Sie wollte ihr tausend Fragen stellen, wollte ihr sagen, dass Pater Andrew ein Widerling war, dass sie niemals Nonne hätte werden dürfen, aber das war das, was sie sagen wollte, nicht das, was Mary Ann jetzt brauchte.
»Hast du’s Mum erzählt?«
Mary Ann griff sich wieder an den Kopf.
»Hast du’s deiner Mutter Oberin
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