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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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und Licht so stark wie möglich zoomen«, sagte Ringmar. »Vergrößern und verkleinern.«
    Winter blieb stumm.
    »Ob es möglich ist, dieses Zimmer zu finden?«, fuhr Ringmar fort und deutete mit dem Kopf zum Bildschirm. »Dieses Haus?«
    »Ja«, sagte Winter.
    »Will er, dass wir es finden? Dieser verdammte Dokumentarfilmer?«
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagte Winter.
    »Glaubt er, dass wir es können?«
    Winter antwortete nicht. Er dachte an das, was er gesehen und gehört hatte. Es gab noch so viele Bilder zu zoomen. Und viele Geräusche. Wände, Fußboden, Decke, Fenster, Bilder, Bücher, Kleidung, Ziergegenstände, Blumen, Zeitungen, Zeitschriften, Uhren, Telefone, Gardinen, Schuhe, Pantoffeln, Plakate. Alles sagte etwas über die Menschen aus, die in dem Zimmer lebten, die dort starben. Gab es etwas, das die drei Zimmer verband? Etwas, das es in allen dreien gab? Ein Bild? Er hatte es noch nicht entdeckt. Eigentlich hatte er noch gar nicht angefangen, ernsthaft danach zu suchen. Nach allem zu suchen, könnte man sagen. Gab es etwas, das unmittelbar etwas über die Personen aussagte, die im Bett lagen? Er dachte an das dritte Zimmer. Das aktuellste, wenn man es so ausdrücken wollte. Gab es etwas, das er, Winter, entdecken sollte? Das nur er sehen würde? Es war schließlich ein Weihnachtsgeschenk für ihn gewesen, oder? Vielleicht etwas, das er sehen sollte. Das niemand sonst sehen kann. Oder hören. Die Geräusche: das Säuseln und Rauschen, der Verkehr, die Uhr, jedoch nicht im dritten Film. Andere Geräusche, die er bis jetzt noch nicht gehört hatte.
    Unterdessen würden sich die Techniker physisch mit der Plastiktüte und der DVD beschäftigen. Nichts würde dabei herauskommen. Solche Fehler würden dem Mistkerl nicht unterlaufen. Die Kamera? Nein, sie würden es zwar versuchen, aber eine Digitalkamera wie diese konnte man nicht aufspüren. Der Fluch der Entwicklung, der ambivalente Segen der Technik.
    »Die müssen sich alle Geräusche sofort anhören«, sagte Ringmar.
    »Yngvesson«, sagte Winter.
    Ringmar nickte. Richard Yngvesson war der Experte für Geräusche. Besonders schwierige Geräuschanalysen wurden eigentlich von der Kriminaltechnik in Linköping vorgenommen, aber das Dezernat der Spurensicherung in Göteborg hatte eine eigene Technik entwickelt, die alle Geräusche filterte. Vor einigen Jahren hatte Yngvesson mit Winter zusammengearbeitet, als sie in einem Mordfall an einer jungen Frau ermittelten, die in einem eigenen Haus in Långedrag gewohnt hatte. Anne Nöjd, sie hatte Anne Nöjd geheißen und war im Slottsskogen ermordet worden. In ihrer Handtasche hatten sie ihren Namen und die Adresse gefunden. Winter und Ringmar waren durch die schmalen Straßen zwischen der alten Bebauung an der Küste gefahren und hatten das kleine Haus betreten. An den Wänden hatten unterschiedlich große Bilder gehangen. Es war eine dämmrige Sommernacht gewesen, in der die Bilder wie Löcher in den Wänden ausgesehen hatten. Vor Ringmar hatte ein Tisch gestanden, auf dem Tisch ein Telefon und daneben ein Anrufbeantworter. Das rote Lämpchen hatte geblinkt, unablässig geblinkt. Vor dem Fenster hatte eine Möwe geschrien. Winter hatte genickt und Ringmar hatte mit behandschuhtem Finger auf die Einschalttaste gedrückt. Ein scharfes Piepsen. Ein Sausen. Eine Stimme, eine Nachricht. Ciao, Baby. Wieder das Brausen. Piep. Nichts. Etwas. Ihre Stimme. Annes Stimme. Ein Schrei, noch einer. Ein … Grunzen oder wa… Geräusche von Schlägen, dumpf, ein Rascheln wie von Zweigen, Büschen … »Was zum Teufel?«, hatte Ringmar gesagt. Winter erinnerte sich noch immer an jedes Wort, jedes Geräusch. »Still«, hatte er gesagt. »Das ist sie.« Winter hatte eine Hand gehoben. Er hatte gespürt, dass sie zitterte. Wir hören einem Mord zu, hatte er gedacht. AAALHHILLIEEEHH !! Er hörte einen Reim. Ein Geleier. Ein Mädchen, das überlebt hatte, hatte etwas von einem Reim erzählt, ein Geleier, das der Mörder von sich gegeben hatte. Winter hatte dagestanden und auf den Anrufbeantworter gestarrt, als wäre es ein lebendiges Tier, schwarz, lebensbedrohlich. Sie hatten den Schreien gelauscht, den Geräuschen, dem Grunzen, dem Gebrüll, die Stimme war zurückgekehrt. Allliiaahllee … erst leise und dann lauter. AAALILLLIEH !! Es waren Wörter gewesen. Sie hatten die Wörter auswendig gelernt. Yngvesson hatte das Lautbild herausgefiltert, das Wortbild. Die Geräusche gewaschen, wie er es nannte. Winter sah auf den

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