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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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doch keine Rolle.«
    Aber etwas glaubt sie, dachte Winter. Und vielleicht weiß sie auch etwas. Irgendetwas weiß sie, was mit dem Fall zusammenhängt. Jeder reagiert anders auf traumatische Erlebnisse. Im Lauf der Jahre hatte er gelernt, die Reaktionen zu deuten. Manche waren normal, manche recht eigentümlich. Es gab Menschen, die hielten sich scheinbar ans Handbuch der Trauerarbeit, verrieten jedoch etwas ganz anderes. Immer steckten Geheimnisse dahinter. So wie es auch hier ein Geheimnis gab. Es hatte zwei Morde ausgelöst und würde vielleicht bald einen dritten auslösen. Er war dem Geheimnis nah gewesen, nein, nur am äußersten Rand, hatte den Gestank aus der Tiefe wahrgenommen. Irgendwo liegt der Schlüssel zu dem Geheimnis. Tief vergraben in der privaten Hölle dieser Menschen.
    »Erzählen Sie mir von Erik.«
    Sie zuckte zusammen, heftig, als hätte er sie aus einem wohltuenden Traum geweckt und in den Alptraum zurückgezerrt.
    »Was … wie meinen Sie das?«
    »Mochten Sie ihn?«
    »Das … ich weiß nicht, was ich auf so eine schwierige Frage antworten soll.«
    »Was an ihm mochten Sie?«
    »Können wir darüber nicht ein anderes Mal reden?«
    »Was mochten Sie nicht an ihm?«
    »Warum fragen Sie ständig nach ihm?«
    »Was hat Ihnen nicht gefallen an Erik Lentner?«
    »Es ist sinnlos, jetzt darüber zu sprechen. Es hat nichts zu bedeuten.«
    »Nichts zu bedeuten?«
    »Das …«, sie hob die Stimme, »das … das darf … das macht meine Gloria auch nicht wieder lebendig. Alles ist … sinnlos. Es ist vollkommen sinnlos.«
    Sie hatte den Kopf gesenkt. Als sie wieder aufschaute, sah er Tränen in ihren Augen. Der gelbe Fleck blitzte auf wie eine Fackel im Regen.
    »Nur wenn wir ihren Mörder nicht finden, war alles sinnlos«, sagte Winter. »Wirklich alles. Möchten Sie nicht, dass wir ihn finden?«
    »Was soll die Frage? Natürlich will ich das.«
    Winter sah aus dem Fenster. Im Garten war es dunkler geworden. Jetzt stand der Apfelbaum im Schatten, er wirkte lebendiger als vor einer halben Stunde, trotz der nackten Zweige. Eben noch hatte die Sonne den Baum mit einem gnadenlosen Licht übergossen. Jetzt hatte sie sich weiterbewegt am blauen Himmel, der allmählich herausfordernd wirkte, das war ihm auf dem Weg hierher durch den Kopf gegangen. Er fordert uns heraus. Er ist arrogant. Der Himmel ist zu groß geworden.
    »Erik und Gloria haben einander schon als Kinder gekannt, nicht wahr?«
    Sie nickte.
    »Wo haben sie sich kennengelernt?«
    »Ja … das war wohl … das war wohl da unten.«
    »Da unten? Meinen Sie in Spanien?«
    »Ja …«
    »Costa del Sol?«
    »Ja.«
    »Nueva Andalucia?«
    Sie schaute wieder auf. Vorher war ihr Blick durchs Fenster, zu den Schatten im Garten ausgewichen, die tiefer geworden waren, als die Sonne sich zum Meer hin entfernte. Jetzt erkannte Winter drei Bäume. Sie sahen aus wie Gestalten, Arme, Beine, Köpfe. Wie Männer, die Drei Weisen.
    »Warum fragen Sie danach?«
    »War es dort?«, fuhr Winter fort. »War es in Nueva Andalucia?«
    »Das klingt, als würden Sie den Ort kennen.«
    »Bitte beantworten Sie nur meine Frage.«
    »Das … ich … ja, so war es. Wir hatten dort ein Haus.«
    »Wann war das? Wann haben sich Erik und Gloria kennengelernt?«
    »Ich weiß es nicht. Daran kann ich mich nicht erinnern. Ich kann nicht mehr.«
    »Wie alt waren die beiden?«, fragte Winter.
    »Was spielt das für eine Rolle? Was hat das mit der Sache zu tun?«
    »In welchem Alter waren sie?«
    »Ich … vielleicht zehn. Ich erinnere mich nicht genau. Muss ich mich genau erinnern? Was bezwecken Sie mit all dem?«
    Winter antwortete nicht. Er wusste es selber nicht. Aber er wusste, dass er diese Fragen stellen musste. Nichts war nur jetzt , in der Gegenwart. Alles war überall, es würde nie verschwinden. Es war viel mehr als Erinnerungen, wog viel schwerer. Die wirklichen Taten, eine immerwährende Wirklichkeit.
    »Wann sind Sie dort weggezogen?«
    »Von … von Nueva Andalucia, meinen Sie?«
    »Ja.«
    »Wann wir weggezogen sind? Ich erinnere mich nicht … auch daran erinnere ich mich nicht genau. Das war wohl vor … es ist schon viele Jahre her.«
    »Zwanzig Jahre?«
    »Ja, vielleicht.«
    »Als Erik etwa zehn war?«
    »Ja, so kann es gewesen sein.«
    »Warum sind Sie weggezogen?«
    »Wir wollten wohl etwas anderes. Mit der Zeit waren zu viele Leute dorthin gezogen. Überall wurde gebaut. Wir wollten einfach weg.«
    »Wurde es damals schon eng?«
    »Ja.«
    »Gehörten Sie

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