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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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Kästen, Winkel, horizontal, vertikal. Eine Stadtlandschaft.
    »Es ist eine Stadt«, sagte Ringmar. »In jedem Fall ein etwas größerer Ort.«
    »Zumindest eine Straße«, sagte Winter.
    »Das da sind Häuser«, sagte Ringmar.
    »Hohe oder niedrige?«
    »Irgendwas dazwischen. Nicht Fisch und nicht Fleisch.«
    »Ich kann keine Details erkennen«, sagte Winter.
    »Noch nicht. Wir müssen das Bild stärker ranzoomen.«
    »Ja.«
    Sie betrachteten es wieder. Die Gardinen hatten sich bewegt, bevor Winter den Film angehalten hatte. Vielleicht stand das Fenster offen. Ein Rauschen war zu hören gewesen, das Rauschen einer Stadt oder eines etwas größeren Ortes.
    »Es sieht nicht aus, als wäre es Nacht«, sagte Ringmar, »oder Abend.«
    »Nein.«
    »Andererseits kann eine gut beleuchtete Straße auch nachts taghell wirken. Die Gardinen vermitteln einen falschen Eindruck.«
    »Ja.«
    »Es ist ein bisschen merkwürdig, Leute am helllichten Tag zu betäuben, und dann kommen sie zu sich, ohne zu reagieren«, sagte Ringmar.
    »Vielleicht haben sie reagiert«, sagte Winter.
    »Wir werden ja sehen.«
    »Genau das werden wir leider nicht. Wenn wir den Fall nicht schnellstens lösen.«
    »Vielleicht wachen sie gar nicht auf«, sagte Ringmar. Er deutete mit dem Kopf zum Bildschirm. »Vielleicht liegen sie jetzt da, in dem Zimmer. Oder einer von beiden.«
    »Nein«, sagte Winter. »Sie leben.«
    »Jedenfalls hat er sie betäubt, um uns das da vorzuführen. Selbst wenn es Nacht war, müssen sie doch reagiert haben?«
    »Das ist nicht sicher«, sagte Winter.
    »Ach nein?«
    »Das ist nicht sicher«, wiederholte Winter.
    »Okay, mach weiter.« Ringmars Stimme klang ruhig, vertrauenerweckend. Wie die Stimme eines Vaters, auf den man sich verlassen kann.
    Durch das Bild ging ein Beben. Das Fenster verschwand, das Bett tauchte auf, sie sahen Bewegungen darin, sie hörten Atemzüge. Keine Gesichter. Fragmente von … Leben, dachte Winter. Indem sie das anschauten, drangen sie in das Privatleben anderer Menschen ein. Zuerst war die Person, die das alles filmte, eingebrochen, und nun folgten sie ihr. Daran war er nicht gewöhnt. Er war es gewöhnt, als Erster voran in den Abgrund zu gehen, den ersten Schlag in Empfang zu nehmen. Der Airbag für jene zu sein, die ihm folgten. Die Körper im Bett bewegten sich, sie waren lebendig, die Bewegungen fast unmerklich, aber Winter und Ringmar sahen es. Sie konzentrierten sich so sehr darauf, dass sie sich schmerzhaft verspannten.
    »Er will uns unbedingt zeigen, dass sie am Leben sind«, sagte Ringmar.
    Winter schwieg. Er sah eine Bewegung am Kopfende. Es konnte eine Frau sein oder ein Mann. Er drückte auf »Pause«.
    »Was hast du gesagt, Bertil?«
    »Er will uns unbedingt zeigen, dass sie leben. Wir sollen sehen, dass sie nicht tot sind.«
    »Warum macht er das?«, sagte Winter.
    »Er will es uns zeigen.«
    »Das verstehe ich ja. Aber warum?«
    »Er will spielen.«
    »Aber warum?«
    »Das ist seine Veranlagung«, sagte Ringmar.
    »Er will mit mir spielen«, sagte Winter.
    »Offenbar.«
    »Kenne ich ihn?«, fragte Winter.
    »Hast du mit irgendjemandem Zoff?«
    »Ich habe nie Zoff. Mit niemandem.«
    »Vielleicht sieht er das anders.«
    »Er sieht einen Gegner in mir«, sagte Winter. »Darum geht es.«
    »Er weiß, dass du an diesem Fall arbeitest. An diesen Fällen.«
    »Das ist ja kein Staatsgeheimnis.«
    »Er weiß, wo du wohnst.«
    »Das ist auch kein Geheimnis.«
    Ringmar schaute auf das erstarrte Bild auf dem Monitor. Weiß, schwarz, grau, etwas Braun, etwas Blau, das weiße Bett wie ein Leichentuch.
    Winter drückte wieder auf »On«. Das Leichentuch bewegte sich. Sie hörten Geräusche aus der Richtung. Winter musste an Tote denken, die Geräusche von sich gaben. Er hatte es erlebt. Luft, die herausgepresst wurde. Ein entsetzlicher Laut. Das hier klang anders. Es war, als studierten sie lebende Tote.
    Die Mattscheibe wurde schwarz. Er schaltete aus.
    Von draußen hörte er ein Säuseln, ein Rauschen. Das war ihm noch nie so deutlich aufgefallen wie jetzt. Das Banale veränderte sich. Die Wirklichkeit wurde eine andere, als hätte sie eine andere Gestalt angenommen. Nichts war mehr wie vorher. Nichts war das, was es zu sein schien. Das war sein bester Ausgangspunkt. So hatte er es schon immer gehalten: Nichts ist so, wie es aussieht. Verlass dich nicht auf deine Augen, nicht gleich, nicht sofort. Aber genau das musste er im Moment, sich auf seine Augen und Ohren verlassen.
    »Wir müssen Bild

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