Der letzte Winter
hatte sich die Filme angesehen, vor allem den letzten.
»Es ist Nacht«, hatte er zu Winter gesagt. »Oder Abend.«
»Aus welchem Grund glaubst du das?«
»Ich glaube nichts. Mit Glauben gebe ich mich nicht ab.«
»Warum ist es Nacht?«, hatte Winter gefragt.
»Zu wenig Hintergrundgeräusche. Aber es kann auch Abend sein. Im Winter wird es früh Abend. Und natürlich auch Nacht.«
»Wir gehen davon aus, dass der Film erst kürzlich aufgenommen wurde.«
Darauf war Yngvesson nicht eingegangen. Wenn der Film nicht kürzlich aufgenommen worden war, war seine ganze Mühe wahrscheinlich umsonst, vielleicht sinnlos.
Er lauschte konzentriert. Da war es wieder. Ein Geräusch im Hintergrund, wenn man damit das meinte, was sich hinter dem Bett befand und vermutlich hinter dem Zimmer.
Vor dem Haus?
Ja.
Im Haus? Eine andere Wohnung?
Nein.
Er ließ die ganze Sequenz noch einmal laufen.
Es ist eine Serie, dachte er. Es hängt zusammen. Da kommt es wieder. Es wiederholt sich, ein Geräusch, das sich wiederholt.
Er gab eine Kurzwahl ein.
In Winters Büro klingelte das Telefon. Winter war noch nicht vom Stuhl aufgestanden. Er nahm den Hörer ab.
»Winter?«
»Ja.«
»Du bist also noch da. Hast du mal eine Minute Zeit?«
»Um was geht’s?«
»Komm rauf und hör dir etwas an.«
»Was ist es?«
»Ich weiß es nicht. Es klingt interessant.«
Winter lauschte, lauschte. Immer wieder ließ Yngvesson die Sequenz laufen.
»Ich möchte es zusammen mit dem Bild hören«, sagte Winter. »Nicht gefiltert.«
»Okay.«
Yngvesson stellte den Bildschirm an und ließ den Film laufen.
Winter sah die Bilder und hörte die Töne.
»Noch mal.«
Er lauschte, sah, lauschte.
»Da!«
»Ja.«
»Noch mal.«
Die Kamera schwenkte an dem Tisch mit dem Pokal vorbei. In natürlicher Größe machte er nicht viel her, kein besonderer Preis. Vielleicht war es ein Scherzartikel, erstanden auf der Portobello Road in London, eine Scherzstraße, jedenfalls samstags. Samstags hatte Winter sie gemieden, wenn er zu Blenheim Crescent und Books for Cooks ging. Es war schon eine Weile her, dass er dort gewesen war. Er hatte Steve seit langem nicht mehr gesehen. Der Besuch in Göteborg kam einfach nicht zustande. Nie. Nächstes Mal an der Westküste, hatten sie verabredet, es war, als sollte es nie ein nächstes Mal geben. Als er die flimmernden, verdammten Bilder von diesem verdammten Zimmer sah, wusste er, dass er Vasastan hinter sich lassen würde, wenn alles vorbei war. Vasastan war für ihn erledigt. Dieser Fall zeigte es ihm. Das Leben in Vasastan war ungesund. War nie gesund gewesen. Er hatte einen Platz am Meer. Die Quote von angeschwemmten Leichen war erfüllt. Keine unangenehmen Überraschungen mehr, wenn er mit seinen Kindern Steine über das Wasser hüpfen ließ.
»Da!«
»Was ist das?«, fragte Winter. »Es klingt fast wie eine Melodie.«
»Ja.«
»Unter dem Fenster spielt jemand Geige.«
»Nein.«
»Ein Autoradio. Jemand fährt mit laut aufgedrehtem Autoradio vorbei.«
Yngvesson ließ den Film zurück- und wieder vorlaufen.
»Nein. Kein Autoradio. Der Bass ist zu schwach.«
»Kannst du es nicht noch ein bisschen deutlicher herausholen?«
»Damit habe ich mich doch die ganze Zeit abgerackert. Du wolltest es einmal ohne Filterung hören.«
»Okay, dann versuch das Klangbild etwas reiner herauszufiltern.«
Yngvesson tippte auf seinen Tastaturen, um das Geräusch stärker hervorzuholen, das er herausgefiltert hatte. Auf den Schirmen tanzten die Tonfrequenzen. Yngvesson hatte mehrere dazugeschaltet. Es sah aus wie auf einer Intensivstation, vielleicht bei einem Radiologen. Die zappelnden Linien waren der Pulsschlag von Menschen, einige auf dem Weg nach oben, andere nach unten. Einige weg.
Das Geräusch kehrte wieder. Es klang jetzt einsamer, fast wie ein Echo, als hätte jemand alle Möbel aus dem Zimmer geräumt.
Winter versuchte, die Töne zu erfassen.
Es war eine Melodie.
Herr im Himmel. Auf der Straße ertönte Musik.
»Eine Art Melodie«, sagte Yngvesson.
»Das glaube ich auch.«
Sie lauschten wieder. Winters Nacken war verspannt. Er hatte gelauscht, gelauscht. Er hatte geschaut, geschaut. Er war müde. Er war von Kopf bis Fuß verspannt. Aber er durfte nicht aufgeben. Dies war wichtig und anders als alles, was er je erlebt hatte. Vielleicht spielte der Mörder mit ihm, doch er hatte keine Wahl. Er konnte nur lauschen.
»Es klingt, als würde es sich wiederholen«, sagte er. »Oder lässt du die Stelle von vorn
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