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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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wieder.
    »Übrigens«, fuhr Winter fort, »kann er das Eisauto auch gehört haben?«
    »Nein.«
    »Bist du sicher?«
    »Nicht ganz. Wir haben es ja auch nicht sofort bemerkt. Es bedurfte einiger Arbeit, wenn ich das so ausdrücken darf. Ich glaube nicht, dass er es gehört hat.«
    »Was bedeutet das?«, fragte Winter. »War das Geräusch weit entfernt?«
    »Nicht unbedingt.«
    »Warum nicht?«
    »Da kann so viel hineinspielen … alle möglichen anderen Geräusche, die es dort gibt, das Haus selber, die Wände, die Isolierung … alles Mögliche.«
    »Aber dieses Geräusch geht einem doch durch Mark und Bein, zum Teufel! Das hört man doch aus meilenweiter Entfernung! Wie kann ihm das entgangen sein?«
    »Wie konnte es uns entgehen, Erik?«
    Winter antwortete nicht. Yngvesson hatte recht. Wie hatten sie es überhören können?
    »Kam es wirklich von draußen?«, fragte Winter.
    »Schwer zu sagen.«
    »Wenn nicht, von wo dann?«
    »Eine andere Aufnahme«, sagte Yngvesson. »Radio, Fernsehen, ich weiß es nicht. Ein Spielzeug. Ein Nachbar.«
    »Oder er will uns hinters Licht führen.« Winter nickte mit dem Kopf zum Bildschirm. »Lass ihn wieder laufen. Das Fenster.«
    Das verflixte Fenster. Hindurchschauen zu wollen, das war, als wäre man halbblind, vielleicht schlimmer. Man wollte etwas sehen, konnte aber nicht. Über den Augen lag ein Schleier, der sich nicht auflöste. Sich hindurch schneiden. Sehen dürfen! Wenn ich es nur sehe, werde ich mich über nichts mehr beklagen auf dieser Welt, in diesem Leben.
    Er geht das Risiko ein, dachte Winter. Oder er weiß es: Da draußen gibt es gar nichts. Es spielt keine Rolle, ob wir diese verdammte Schicht durchdringen oder nicht. Es gibt nichts.
    Doch, da war etwas, Konturen. Winter sah sie, und das war das Schlimmste. Es hatte den Anschein, als wären die Gardinen absichtlich aufgehängt worden, um etwas anzudeuten, nicht mehr.
    Ich werde in diesem Zimmer stehen. Bald werde ich dort stehen und die Scheißgardinen vom Fenster reißen, und dann werde ich sehen , ich werde alles sehen und es wird nicht zu spät sein.
    Gerda Hoffner lauschte auf Geräusche. War sie allein? Ja! Sie hatte seine Schritte gehört, eine Tür, die geschlossen wurde, noch eine Tür, die in einem anderen Teil der Wohnung geschlossen wurde. War es die Wohnungstür? Nein. Sie lag auf einem Bett. Ihre Hände waren auf dem Rücken gebunden und ihre Fußgelenke waren gefesselt. Beim Versuch, die Füße zu bewegen, wurden ihre Beine angezogen. Er musste irgendwo im Bett, an der Wand oder auf dem Fußboden eine Schlaufe angebracht haben, eine Art Würgeschlinge für den Körper. Sie konnte nicht aufstehen. Sie lag in der Seitenlage, wie sie im Erste-Hilfe-Buch beschrieben wurde. Ihre Handgelenke und Schultern schmerzten. Sie hatte Durst. Wie sollte sie zur Toilette gelangen? Daran wollte sie nicht denken. Sie wollte an nichts denken, schon gar nicht daran, dass er inzwischen begriffen habe musste, dass sie allein war und niemandem etwas erzählt hatte. Sie war eine Idiotin, eine einsame Idiotin. Das war wohl einer der Gründe für ihr Alleinsein. Niemand wollte sich mit einer Idiotin abgeben. Vielleicht steckte es an, wenn ein Idiot idiotisch genug war. Wie sie. Nur ein Idiot würde tun, was sie getan hatte. Sie würde einen hohen Preis dafür zahlen müssen. Der Preis war der Tod. Der erste Preis. Ein gerechter Preis. Einen Pokal würde sie nicht bekommen. Sie wollte nicht daran denken, aber es war das Einzige, woran sie dachte. An den Moment der Preisverleihung. Wann es geschehen würde. Wie es geschehen würde. Das Warum war ihr egal. Es gab kein Warum. Er war verrückt. Für Verrückte gab es kein Warum. Es gab nur ein Jetzt. Ein Jetzt, ein Hier. Ich muss ihn zum Reden bringen. Noch ist es nicht zu spät. Noch hat er mich nicht umgebracht. Du darfst nie denken, dass es zu spät ist, Gerda. Die Eisbären Berlin haben eine Sekunde vor Spielschluss ein Tor geschossen. Das war der Ausgleich. Und in der Verlängerung haben sie gewonnen. Es gibt immer noch ein Jetzt , ein Hier . Ich kann mit ihm reden. Es gibt eine Zukunft. Die Zeit dort draußen bewegt sich weiter, sie bewegt sich auch für mich. Bald wird ihnen klar, dass etwas passiert sein muss. Wann beginnt mein Dienst? Wie spät ist es? Welchen Tag haben wir heute? Ist immer noch nicht Silvester? Ist jetzt Silvester? Ist es vorbei? Wenn es vorbei ist, finden sie mich. Neujahr habe ich Abendschicht. Das stimmt doch? Ich würde keinen Kater haben, das

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