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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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heimischer fühlte. Was für ein Heim! Grotesk vergrößert, wie eine Internet-Wohnungsanzeige, deren Übertragung misslungen war. Eine Wohnung, die ausgehend vom Schlafzimmer taxiert wurde. Mit zwei Schlafenden. Er ließ das Bild in seiner eingefrorenen Einsamkeit stehen. Es zeigte das Bett. Er sah zwei oder drei Finger. Schmale Finger, Finger einer Frau. Wusste sie, dass sie sterben würde? Warum saß sie nicht in einem Flugzeug auf dem Weg nach Bali oder sonst wohin, möglichst weit weg.
    Sein Handy klingelte. Er erkannte die Nummer.
    »Bist du schon unterwegs?«, fragte sie.
    »Ja.«
    »Kannst du mir einen realistischen Zeitpunkt nennen?«
    »Ich wollte mir noch einmal das Zimmer vornehmen.«
    »Wie viele Male hast du es dir schon vorgenommen?«, fragte Angela.
    »Die Vergrößerungen sind neu.«
    »Zeigen sie auch etwas Neues?«
    Winter sah den Tisch neben dem Fenster, die Kommode, den Schrank. Das, was wie Silber glänzte. Es war ein kleiner Pokal. Es war ein Preis.
    Beim ersten Mal war die Kamera darüber hinweggehuscht.
    Eigentlich hätte er nicht mit auf das Bild kommen sollen.
    Nicht auf die Art.
    »Beschäftigt sich sonst niemand mit dem Film?«
    »Doch.«
    »Aber du traust ihnen nicht, oder?«
    »Nein, nicht ganz«, antwortete Winter.
    »Ich hasse es, eine Ehefrau zu sein, die ihren Mann anruft und ihn bittet, nach Hause zu seiner Familie, seinen Kindern zu kommen.«
    »Damit bist du nicht allein, Angela. Du hast viele Schwestern in der gleichen Situation. Und ich kann nur eins sagen: keep trying . Am Ende wird es ein Resultat geben.«
    »Wunderbar. Ich hab’s ja gewusst.«
    »Gut.«
    »Dann sehen wir uns also irgendwann.«
    »Jemand hat einen Pokal gewonnen«, sagte Winter.
    »Wie bitte?«
    »Einer von denen hat für irgendetwas einen Pokal bekommen.«
    »Ich glaube, das möchte ich gar nicht wissen«, antwortete sie.
    »Hör mal zu, Angela.« Jetzt sah er den glänzenden kleinen Pokal in einer weiteren Vergrößerung. Sie reichte immer noch nicht. »Warum stellt man einen kleinen Pokal auf einen Tisch. Warum tut man das?«
    »Er bedeutet einem etwas.«
    »Genau. Er bedeutet einem etwas. Auch einem Erwachsenen.«
    »Du setzt also voraus, dass er oder sie in der Kindheit den Pokal bekommen hat.«
    »Wann sonst kriegt man Preise? Doch nicht als Erwachsener?«
    »Spricht jetzt der Radikalpessimist?«
    »Es sieht aus wie einer dieser kleinen Pokale, die man beim Sportwettkampf in der Schule gewinnen kann.«
    Richard Yngvesson war als Einziger noch im Dezernat der Spurensicherung. Die meisten Arbeitsplätze waren dunkel. Über allem lag nur noch ein blaues Licht, das nie verschwand. Vielleicht Phosphor.
    Er hatte den Computer mehrere Male auf das Mischpult geschaltet und versuchte, das Klangbild zu filtern, die Geräusche zu waschen. Beim ersten Abhören war alles aus der Mitte gekommen, wie eine Monoaufnahme. Jetzt hatte er die Bilder weggeschaltet. Es gab nur Laute, unterschiedliche Laute, schwache, etwas stärkere. Menschliche Laute, mechanische Laute. Tote Laute. Lebendige. Es konnte alles Mögliche sein. Das war das Problem.
    Er war damit beschäftigt, den Basston zu verändern, um allmählich etwas im Diskant und dem mittleren Register herauszufiltern.
    Wonach lauschte er?
    Gab es in dem Zimmer ein einzelnes Geräusch, das von Bedeutung für sie sein konnte? Das ihnen sagen könnte, wo sich dieses Zimmer befand?
    Hatte das vor ihm schon einmal jemand versucht?
    Für ihn war es das erste Mal. Er hatte Stimmen herausgefiltert, die sich später identifizieren ließen, einen Mörder identifizierten. Aber das hier war anders. Es war, wie unter Wasser zu schwimmen und gleichzeitig zu versuchen, besondere Tropfen oder Strömungen aufzufangen.
    Er schloss die Augen und lauschte.
    Er spulte die Tonaufzeichnungen zurück.
    Da.
    Was war das?
    Da. Da war es wieder.
    Was zum Teufel war das?
    Er stoppte den Lauf. Jetzt wechselte er das Werkzeug. Es gab viele unterschiedliche Werkzeuge, mit denen sich Geräusche filtern und analysieren ließen. Man musste sie Stück für Stück überprüfen, immer nur einen Schritt zur Zeit. Ein Ton zur Zeit, dachte er. Ton. Was war das da für ein Geräusch? War es ein Ton gewesen? Eine Art Hintergrundgeräusch. Er musste den Hintergrund stärker herausfiltern. Das war, als würde er rückwärts arbeiten. Normalerweise kam es darauf an, Frequenzen von konstanten Hintergrundgeräuschen zu trennen. Aber hier gab es nicht viele Hintergrundgeräusche, die man trennen konnte.
    Yngvesson

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