Der letzte Winter
war das für eine Geschichte?«
»Das weiß eigentlich niemand genau.«
»Was hat das zu bedeuten?«
»Genau das, was ich sage. Niemand kann sich erinnern.«
»Sich an was erinnern?«
»Natürlich an das, was passiert ist.«
Wahnsinnig aufschlussreich. Seine Mutter hatte kein Wort davon gesagt, dass Kurt Wejne senil war. Oder er war betrunken. Professionelle Alkoholiker auf dem höchsten Niveau redeten so, als hielten sie eine Ansprache auf irgendeiner Hauptversammlung.
»Was für ein Bild haben Sie von dem, was passiert ist?«, fragte Winter. »Wem ist etwas passiert?«
»Ich kann mich nicht erinnern.«
»Was ist passiert?«
»In einem … Swimmingpool. Soweit ich mich erinnere.«
»Wessen Swimmingpool?«
»Ich weiß es nicht.«
»War es bei der Familie Holst?«
»Daran kann ich mich leider auch nicht erinnern.«
»Etwas ist dort passiert«, sagte Winter. »Ein Junge war in die Geschichte verwickelt.«
Wejne schwieg.
»Wie kann ich mehr in Erfahrung bringen?«, fragte Winter. »Ich habe den Eindruck, niemand will darüber sprechen.«
»Vielleicht gibt es nicht viel darüber zu sagen.«
»Ich glaube eher das Gegenteil«, antwortete Winter. »Ich glaube, in diesem Fall gibt es eine Menge zu sagen.«
Wejne schwieg.
»Und wenn niemand etwas sagt, kann das katastrophale Folgen haben«, fuhr Winter fort.
»Inwiefern?«, fragte Wejne.
»Vielleicht sind noch mehr Menschen in Gefahr«, sagte Winter.
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen«, sagte Wejne.
»Darf ich Sie später noch einmal anrufen?«, fragte Winter.
»Selbstverständlich. Aber ich fürchte, das wird Ihnen auch nicht weiterhelfen.«
»Ich komme darauf zurück. Vielen Dank.« Winter legte auf. Sofort klingelte das Telefon.
»Ja?«
»Hallo, Erik. Ich versuche, deinen Kumpel von Faktum zu erreichen. Du weißt nicht zufällig, wo er sich aufhält?«
»Wovon redest du, Bertil?«
Ringmar erklärte, wovon er redete.
Winter schaute auf die Uhr.
»Vielleicht steht er noch vorm Tvåkanten.«
»Steht er nicht. Ich bin dort gewesen.«
»Hast du’s bei der Heilsarmee versucht?«
»Ja, und die wussten auch nichts.«
»Er wird wohl noch mehr Kumpel haben.«
»Niemand, den ich getroffen habe, wusste etwas.«
»Er hat einen Sohn«, sagte Winter. »Der Eishockey spielt.«
Johnny Eilig fuhr die Chalmersgatan entlang. Die Fassaden sahen aus, als beugten sie sich über die Straße. Er spürte eine Unruhe im Körper, die größer war als alle Unruhe, die er jemals in seinem Job empfunden hatte. Hier hatte alles angefangen.
»Hier war es«, sagte er zu Micke Jansen, der kurzfristig für Gerda eingesprungen war. Micke the Man . Zwei Meter groß. Manchmal hatte man den Eindruck, als wachse er immer noch.
»Krass«, sagte Micke.
»Mist.«
»Verdammt seltsam das mit Gerda.«
Johnny hielt vor dem Haus. Dem Haus . Dem ersten Haus. Die Tür war schwarz wie die Nacht, in der sie saßen, in der sie herumfuhren. Es schien so sinnlos zu sein, und irgendwie hatte er das Gefühl, ein Teil von alldem zu sein. Etwas, das er getan, was er gesagt hatte. Es war ein sonderbares Gefühl, genauso sonderbar wie Gerdas Verschwinden. Hatte sie Depressionen? Aber aus welchem Grund?
War sie hier gewesen? An dem Haus vorbeigegangen? Er wusste, dass es ihr schwerfiel, den Fall loszulassen. Die Fälle. Sie hatte Dinge gesehen, die ihr Interesse wach gehalten hatten. Sie meinte, eine Verantwortung zu haben. Hat sie sich zu viel Verantwortung aufgeladen? Das war eine schwierige Situation, wenn man nicht zum Kreis der Verantwortlichen gehörte.
»Mich macht das alles kribblig«, sagte Johnny. »Ich muss die Beine bewegen.« Er öffnete die Autotür.
»Was hast du vor?«
»Mir nur die Beine vertreten.«
Er stieg aus.
Er stand vor der Haustür.
Ein Mann kam heraus, der Johnny, den uniformierten Polizisten, natürlich anstarrte. Enemy at the gates .
Langsam glitt die Tür wieder zu. Ehe sie ganz zufiel, hielt Johnny sie fest. Es war eine reine Reflexbewegung.
41
H alders hatte sich schon lange nicht mehr gemeldet, und Winter hatte ihn schon verloren geglaubt.
Jetzt rief er an.
»Ich bleibe«, sagte er. »Ich bleibe bei meinen Leisten.«
»Wo bist du?«
»Am Fahrstuhl. Auf dem Weg nach oben ins Dezernat.«
»Warte unten auf mich. Wir treffen uns draußen. Ich brauche frische Luft.«
Winter nahm den Fahrstuhl zum Vasaplatsen hinunter. Die Luft war kalt und klar. Er atmete dreimal tief durch. Dann fuhr er mit dem Rad zum Polizeipräsidium. Das war kein
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