Der letzte Winter
gesprochen?«
»Vorgestern, ich habe sie zu Silvester eingeladen, zu mir nach Hause und zu meiner Freundin.«
»Hat sie zugesagt?«
»Jedenfalls hat sie nicht abgesagt.«
»Was bedeutet das?«
»Sie hatte sich noch nicht entschieden.«
»Wollte sie irgendwo anders hingehen?«
»Das hat sie nicht gesagt.«
»Was glauben Sie?«
»Ich glaube nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich glaube, sie hat niemanden, zu dem sie gehen könnte.«
»Ist sie so einsam?«
»Momentan ja. Offenbar hat sie ein paar Freunde, die über den Jahreswechsel auf Reisen sind. In Asien. Mehr weiß ich nicht.«
»Was glauben Sie, was mit ihr passiert ist?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich mache mir Sorgen. Und ich glaube absolut nicht, dass sie sich freiwillig verstecken würde.«
»Vielleicht ist sie krank geworden«, sagte Ringmar.
»Aber wo ist sie dann? Müsste nicht längst eine Meldung eingegangen sein?«
Ringmar nickte.
»Ich fahr jetzt mal in der Stadt rum und schaue, ob ich sie finde«, sagte Johnny. »Das tun wir alle.«
»Wann haben Sie das letzte Mal zusammengearbeitet?«
»Weihnachten … Heiligabend zum Beispiel.«
»Gab es besondere Vorkommnisse?«
»Was meinen Sie mit besonders?«
»Was weiß ich, zum Teufel. Irgendetwas, an das Sie sich erinnern, das hängengeblieben ist. Sie verstehen, was ich meine. Irgendetwas außerhalb der Routine.«
»Wir haben einen Penner gefahren.«
Ringmar zuckte zusammen. Sie saßen im Auto. Johnny sah es.
»Was ist?«
»Penner?«, wiederholte Ringmar.
»Ja. Vielleicht war es falsch, aber sie …«
»Nein, nein«, unterbrach Ringmar ihn. »Reden Sie weiter.«
»Mehr war es nicht. Wir haben ihn bei der Heilsarmee abgesetzt.«
»Ihre Kollegin ist hier gestern vorbeigekommen.«
»Meine was?«
»Die Polizistin. Hübsches Ding. Sie hat mich Heiligabend gefahren.«
»Ach?«
»Ich war fertig hier und wollte zur Heilsarmee, und da haben sie mich mit dem Streifenwagen hingebracht, sie und der Junge. Er hat nicht viel gesagt. Aber sie ist nett.«
»Wir sind alle nett.«
»Gestern ist sie hier vorbeigekommen. Sie war nicht in Uniform, aber ich hab sie natürlich trotzdem erkannt. Ich vergesse nie ein Gesicht. Direkt in die Kristinelundsgatan ist sie gegangen.«
»Verdammt«, sagte Ringmar.
»Was ist?«
»Vielleicht haben wir einen Zeugen.«
»Wofür?«
»Der sie gesehen hat.«
»Wo?«
Aber Ringmar war schon ausgestiegen.
Sie hatte etwas gegessen, konnte sich aber nicht erinnern, was. Ihr einer Arm musste frei gewesen sein. Sie erinnerte sich nicht daran, gefüttert worden zu sein. Aber wieso war ihr Arm plötzlich frei gewesen? Jetzt war er nicht frei. Ihre Handgelenke schmerzten. Sie konnte sie nicht sehen. Von draußen hörte sie ein Rauschen. War es ein Auto? Im vergangenen Jahr hatte sie in einem Auto gesessen, das war ihr Job gewesen. Vor zehntausend Jahren, in einer prähistorischen Zeit. In Zukunft würde sie sich nie wieder in ein Auto setzen. Wenn ich das hier überlebe, werde ich nie mehr drinnen sitzen. Nie mehr irgendwo hineingehen. Ich kann mich nur noch draußen aufhalten und werde wohl unter freiem Himmel schlafen müssen. Wie wunderbar, unter dem Himmel zu schlafen! Den Himmel zu sehen. Die Sonne zu sehen. Im Augenblick ist sie verschwunden. Jetzt kann man draußen Sterne sehen. Alles, was es da draußen gibt. Schlafen. Ich bin müde. Jetzt will ich schlafen. Das ist schön. Jetzt höre ich etwas, egal. Ein Signal, eine Melodie. Ich weiß, was das ist. Ich erinnere mich. Es spielt keine Rolle. Hier drinnen ist es kaum zu hören, also ist es egal. Da war es wieder. Das war die Klingel an der Wohnungstür. Oder nicht? Plinge-linge-ling. Oder es klang eher wie ein dong-dong-dong.
Winter wählte Kurt Wejnes Nummer, der sich nach vier Klingeltönen meldete. Die Stimme klang klar, vorbereitet. Es gab Menschen, die meldeten sich immer so, als hätten sie seit Jahren gerade auf dieses Gespräch gewartet. Vielleicht ist es so. Er hat darauf gewartet. Er hat geschwiegen wie alle anderen.
Winter stellte sich vor.
»Ihre Mutter hat mich angerufen«, sagte Kurt Wejne.
»Ja.«
»Ich war auch mit Ihrem Vater befreundet.«
»Gutes Gefühl, das zu wissen.«
»Er hat viel von Ihnen gesprochen.«
Den Ton kannte Winter. Den schulmeisterlichen Ton. Die Botschaft an den verlorenen Sohn. Die Botschaft des verlorenen Vaters.
»Ich rufe Sie wegen des Telefonats an, das Sie kürzlich mit meiner Mutter geführt haben«, sagte Winter.
»Ja, ja, diese alte Geschichte.«
»Was
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