Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
Vom Netzwerk:
Madeleines Hals. Er wirkte … unberührt. Weiß oder vielleicht schwach bräunlich auf dem weißen Laken. Sie konnte keine Flecken entdecken, aber es war ja nicht ihr Job, nach derartigen Spuren zu suchen. Ihr Job war jetzt im Großen und Ganzen erledigt. Vermutlich würde sie den Mann nie wiedersehen und Madeleine mit Sicherheit auch nicht.
    »Wir wollten heiraten«, sagte der Mann.
    Plötzlich hatte Gerda Hoffner genug von seiner Namenlosigkeit.
    »Wie heißen Sie?«, fragte sie.
    Johnny warf ihr einen raschen Blick zu.
    »Martin Barkner«, antwortete der Mann wie aus der Pistole geschossen, als würde er sich in einer formellen Situation vorstellen. Es war eine formelle Antwort, als wäre alles zur Normalität zurückgekehrt, dorthin, in den vorherigen Zustand. Als würde er in Unterhosen in einer Bank stehen, halbnackt vor einem Bildschirm bei der Börse sitzen. Als würde alles normal werden in einer extremen Situation wie dieser, in der das Absurde und Normale zu einer Art Surrealismus zusammenflossen, ein verrückter Traum, der vollkommen normal wirkte, wenn man sich mittendrin befand.
    »Martin Barkner«, wiederholte er. Er schaute sie an. »Was passiert jetzt?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Kommt … kommt jemand und holt … Madeleine ab?«, fragte er, ohne die Leiche anzusehen.
    Gerda Hoffner nickte.
    »Bald werden viele Menschen hier sein«, sagte sie.
    »Ich kann nach Hause zu meinen Eltern fahren«, sagte Barkner.
    »Was haben Sie gesagt?«, fragte Johnny.
    »Wenn alle hier sind … kann ich zu meinen Eltern fahren«, wiederholte Barkner. »Ich habe dort ein Zimmer.«
    Johnny Eilig sah Gerda Hoffner an und dann wieder Barkner.
    »Sie müssen uns zur Kriminalpolizei begleiten«, sagte Johnny. »Das werden Sie doch verstehen?«
    »Kriminalpolizei?«
    »Zur Vernehmung«, sagte Johnny. Herrgott, langsam wird es albern. Barkner stellt sich dümmer, als er ist.
    »Vernehmung?«
    »Aber zum Teufel«, sagte Gerda Hoffner. »Sie ist tot!! Madeleine ist tot!! Haben Sie geglaubt, dass …«
    Sie wurde von Lärm in der Diele unterbrochen, Stimmen, Werkzeug, ein Telefonklingeln. Die, die sich der Sache annehmen würden, waren endlich eingetroffen.
    Martin Barkner setzte sich wie ein Zombie auf den Rücksitz des Streifenwagens. Es war, als hätte er innerhalb von Minuten, Sekunden mehrmals die Persönlichkeit gewechselt. Etwas war passiert zwischen ihm und Madeleine. Und dann war noch etwas passiert, etwas Ernsteres. Vielleicht ein Spiel. Gerda Hoffner hatte solche Spiele nicht gespielt, aber für manche waren sie normal. Alles war normal. Sie sah seine Augen im Rückspiegel. Draußen zog die Morgendämmerung herauf. Schließlich war sie gekommen. Für ihn würde es ein langer Morgen werden. Falls er nicht sofort auspackte. Vielleicht wollte er von allem wegschlafen. Niemals dorthin zurückkehren. Nur erzählen. Alles gestehen. So lief das ab. Ich weiß nicht, warum. Es ist einfach passiert. Es tut mir leid. Ich bin sehr traurig.
    Im Schlafzimmer war Gerda Hoffner kein Alkoholgeruch aufgefallen. Barkner roch nicht nach Alkohol. Vielleicht hatte er irgendwas genommen, man würde eine Blutprobe nehmen, und dann würden sie erfahren, was es war, falls etwas war. Sie dachte an die Flasche Wein in der Küche. War sie überhaupt geöffnet gewesen? Sie hatte die Küche nicht betreten. Man hätte ihr die Hölle heißgemacht. Die Leute von der Spurensicherung hassten Polizisten, die vor ihnen an einem Tatort herumstolperten, na ja, hassten sie vielleicht nicht, es war jedenfalls verboten.
    Verboten . Das war das erste deutsche Wort gewesen, das sie gelernt hatte, verboten . Ihre Eltern hatten es benutzt, als sie in Freiheit waren, zwei Jahre vor Gerdas Geburt. Es war ihnen gelungen, die DDR zu verlassen, wo alles verboten war. Jetzt war alles erlaubt. Und sie waren wieder dort. Aber glücklich waren sie nicht. Vielleicht kommen wir zurück, hatte ihre Mutter kürzlich am Telefon gesagt. Sie hatte nicht »nach Hause« gesagt. Es war, als hätten sie nirgends mehr ein Zuhause. Sie können bei mir wohnen. Wieder sah sie Martin Barkners Augen im Rückspiegel. Die Eltern können bei ihrem Kind wohnen. Das Kind kann nicht bei den Eltern wohnen, er jedenfalls nicht. Es würde eine Weile dauern, bis er zu Mama und Papa heimkehren konnte.
    Schweigend durchquerten sie die frisch renovierte Lobby. Früher hatte es Rezeption geheißen, aber Lobby klang besser. Teile des Polizeipräsidiums waren schließlich eine Art Hotel. Martin

Weitere Kostenlose Bücher