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Der letzte Wunsch

Der letzte Wunsch

Titel: Der letzte Wunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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...
    »Du schweigst«, zischte sie. »Was willst du also, Hexer? Was ist dein geheimster Wunsch? Weißt du es nicht, oder kannst du dich nicht entscheiden? Suche in dir, suche tief und gründlich, denn ich schwöre bei der 
Kraft
, ein zweites Mal wirst du so eine Chance nicht haben!«
    Und plötzlich kannte er die Wahrheit. Er wusste es. Er wusste, wer sie einst gewesen war. Woran sie sich erinnerte, was sie nicht vergessen konnte, womit sie lebte. Wer sie wirklich gewesen war, ehe sie Zauberin wurde.
    Denn ihn schauten die kalten, durchdringenden, bösen und weisen Augen einer Buckligen an.
    Angst überkam ihn. Nein, nicht vor der Wahrheit. Er hatte Angst, sie könnte seine Gedanken lesen, sie könnte erfahren, dass er es erraten hatte. Dass sie ihm das niemals verzeihen würde. Er erstickte diesen Gedanken in sich, löschte ihn aus, verbannte ihn für immer aus seinem Gedächtnis, spurlos, und empfand dabei eine gewaltige Erleichterung. Er empfand, dass ...
    Die Decke brach auf. In das Gespinst aus schon verlöschenden Strahlen gehüllt, stürzte sich der Dschinn brüllend geradewegs auf sie, und in diesem Gebrüll lagen Triumph und Mordlust. Yennefer warf sich ihm entgegen, aus ihren Händen schlug Licht. Ein sehr schwaches Licht.
    Der Dschinn öffnete den Rachen und streckte die Pfoten nach ihr aus. Und plötzlich begriff der Hexer, dass er wusste, was er sich wünschte.
    Und er sprach den Wunsch aus.

XV
    Das Haus explodierte; Ziegel, Balken und Bretter wurden in einer Wolke von Staub und Funken emporgeschleudert. Aus dem Wirbel schoss der Dschinn hervor, groß wie eine Scheune. Brüllend und mit triumphierendem Gelächter zog der Luftgenius, der D’jinni, nun frei, von keiner Pflicht und niemandes Willen mehr gebunden, drei Kreise über der Stadt, riss die Spitze vom Rathausturm, schoss zum Himmel hoch und flog weg, verlor sich, verschwand.
    »Er ist geflohen! Geflohen!«, rief Priester Krepp. »Der Hexer hat es geschafft! Der Genius ist weggeflogen! Er bedroht niemanden mehr!«
    »Ach«, sprach Errdil mit ungeheuchelter Begeisterung. »Was für eine wunderbare Ruine!«
    »Verdammt, verdammt!«, schrie Rittersporn, hinters Fensterbrett geduckt. »Er hat das ganze Haus in Trümmer gelegt! Das hat niemand überleben können! Niemand, sage ich euch!«
    »Der Hexer Geralt von Riva hat sich für die Stadt aufgeopfert«, erklärte Bürgermeister Neville feierlich. »Wir werden es nicht vergessen, werden ihn ehren. Wir werden ein Denkmal in Erwägung ziehen . . .«
    Rittersporn streifte sich ein Stück lehmverschmierte Schilfmatte von der Schulter, klopfte Bröckchen regennassen Putzes vom Wams, schaute den Bürgermeister an und äußerte mit ein paar präzise gewählten Worten seine Ansicht über Aufopferung, Ehrungen, Gedächtnis und alle Denkmäler der Welt.

XVI
    Geralt blickte sich um. Vom Loch im Dach fielen langsam Wassertropfen herab. Ringsum breitete sich ein Wirrwarr von Schutt und zersplittertem Holz aus. Durch einen seltsamen Zufall war die Stelle, wo sie lagen, völlig sauber geblieben. Es war kein einziges Brett, kein einziger Ziegel auf sie gefallen. Es war, als hätte ein unsichtbarer Schild sie beschützt.
    Leicht errötet, rappelte sich Yennefer neben ihm auf die Knie hoch, die Hände auf die Oberschenkel gestützt. »Hexer«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Lebst du?«
    »Ich lebe.« Geralt wischte sich Kalk und Staub vom Gesicht, fauchte. Yennefer berührte mit einer langsamen Bewegung seinen Handrücken, fuhr vorsichtig mit den Fingern darüber. »Ich habe dich verbrannt . . .«
    »Eine Kleinigkeit. Ein paar Blasen . . .«
    »Entschuldige. Weißt du, der Dschinn ist fort. Endgültig.«
    »Tut es dir leid?«
    »Nicht sehr.«
    »Das ist gut. Hilf mir bitte auf.«
    »Warte«, flüsterte sie. »Dieser Wunsch von dir ... Ich habe gehört, was du dir gewünscht hast. Mir hat es einfach die Sprache verschlagen. Alles konnte ich erwarten, aber dass du ... Was hat dich dazu bewegt, Geralt? Warum ... Warum ich?«
    »Weißt du es nicht?«
    Sie beugte sich über ihn, berührte ihn, er fühlte ihre Haare über sein Gesicht streichen, die nach Flieder und Stachelbeeren rochen, und plötzlich wusste er, dass er diesen Geruch, die sanfte Berührung nie vergessen würde, er wusste, dass er sie nie mehr mit einem anderen Geruch und einer anderen Berührung vergleichen könnte. Yennefer küsste ihn, und er begriff, dass er nie mehr andere Lippen als ihre wollen würde, weich und feucht, süß vom Rouge. Er

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