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Der letzte Wunsch

Der letzte Wunsch

Titel: Der letzte Wunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Regeln und Vorstellungen ein Zauberer auszusehen hat. Er war groß, dürr, hatte einen krummen Rücken, große graue, buschige Brauen und eine lange Hakennase. Zudem trug er einen langen schwarzen Umhang mit unglaublich weiten Ärmeln, und in der Hand hielt er einen langen Stab mit einem Kristallknauf. Kein Zauberer, den Geralt kannte, sah aus wie Stregobor. Und das Seltsamste: Stregobor war tatsächlich ein Zauberer.
    Auf der von Malven umsäumten Veranda setzten sie sich in Korbsessel an ein Tischchen mit einer Platte von weißem Marmor. Die nackte Blondine mit dem Apfelkorb kam näher, lächelte, machte kehrt und ging hüftschwenkend in den Garten zurück.
    »Ist das auch eine Illusion?«, fragte Geralt und schaute ihr nach.
    »Ja. Wie alles hier. Aber, mein Lieber, die Illusion ist erstklassig. Die Blumen duften, die Äpfel kannst du essen, eine Biene kann dich stechen, und die« – der Zauberer zeigte auf die Blondine – »kannst du . . .«
    »Vielleicht später.«
    »Richtig. Was tust du hier, Geralt? Beschäftigst du dich immer noch damit, für Geld Vertreter aussterbender Arten umzubringen? Wie viel hast du für die Kikimora gekriegt? Wahrscheinlich nichts, sonst wärst du nicht hergekommen. Und da gibt es Leute, die nicht an die Vorsehung glauben. Es sei denn, du hast von mir gewusst. Hast du?«
    »Nein. Das ist der letzte Ort, an dem ich mit dir gerechnet hätte. Wenn mich die Erinnerung nicht trügt, hast du früher in Kovir gewohnt, in einem ähnlichen Turm.«
    »Seither hat sich viel verändert.«
    »Zumindest dein Name. Anscheinend bist du jetzt Meister Irion.«
    »So hieß der Schöpfer dieses Turms, er ist vor ungefähr zwölf Jahren gestorben. Ich war der Meinung, ich müsste ihm irgendwie Ehre erweisen, als ich seinen Wohnsitz einnahm. Ich mache hier den Ortszauberer. Die meisten Einwohner leben vom Meer, und wie du weißt, ist meine Spezialität, außer Illusionen, das Wetter. Mal besänftige ich einen Sturm, mal beschwöre ich einen herauf, mal treibe ich mit Westwind die Wittling- und Dorschschwärme näher ans Ufer. Man lebt. Das heißt«, setzte er betrübt hinzu, »man konnte leben.«
    »Wieso ›konnte‹? Warum die Namensänderung?«
    »Die Vorsehung hat viele Gesichter. Für mich ist sie äußerlich schön und innen hässlich. Sie hat ihre blutigen Krallen nach mir ausgestreckt . . .«
    »Du hast dich überhaupt nicht verändert.« Geralt grinste. »Du faselst und machst dabei ein weises und bedeutungsvolles Gesicht. Kannst du nicht normal reden?«
    »Kann ich«, seufzte der Schwarzkünstler. »Wenn es dich glücklich macht, kann ich. Es hat mich hierher verschlagen, weil ich auf der Flucht vor einer ungeheuerlichen Kreatur bin, die mich ermorden will. Die Flucht hat nichts genützt, sie hat mich gefunden. Höchstwahrscheinlich wird sie morgen versuchen, mich umzubringen, spätestens übermorgen.«
    »Aha«, sprach der Hexer ungerührt. »Jetzt verstehe ich.«
    »Wie mir scheint, macht es keinen besonderen Eindruck auf dich, dass mir der Tod droht?«
    »Stregobor«, sagte Geralt. »So ist die Welt. Man sieht viel auf Reisen. Zwei Bauern bringen einander wegen der Grenzfurche auf dem Feld um, die anderntags von denPferden der Gefolgschaften zweier Grafen plattgetrampelt wird, die einer den anderen abmurksen wollen. Die Straßen entlang baumeln an den Bäumen die Erhängten, in den Wäldern schneiden Räuber Kaufleuten die Kehlen durch. In den Städten stößt man auf Schritt und Tritt auf Leichen im Rinnstein. In den Schlössern stechen sie mit Stiletten aufeinander ein, und bei den Gelagen fällt alle naselang jemand unter den Tisch, blau angelaufen vom Gift. Ich hab mich dran gewöhnt. Warum also sollte es Eindruck auf mich machen, wenn jemandem der Tod droht, zumal wenn du es bist?«
    »Zumal wenn ich es bin«, wiederholte Stregobor ironisch. »Und ich hab dich für einen Freund gehalten. Ich habe auf deine Hilfe gezählt.«
    »Unsere letzte Begegnung«, erklärte Geralt, »fand am Hofe König Idis in Kovir statt. Ich kam, um mir die Belohnung für die Tötung einer Amphisbaene abzuholen, die die Gegend in Angst und Schrecken versetzt hatte. Damals haben du und dein Konfrater Neidhard mich vor allen Leuten einen Scharlatan genannt, eine gedankenlose Mordmaschine und, wenn ich mich recht erinnere, einen Aasfresser. Das Ergebnis war, dass mir Idi nicht nur keinen roten Heller zahlte, sondern mir obendrein zwölf Stunden zum Verlassen von Kovir gab, und weil seine Wasseruhr kaputt war,

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