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Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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Schulter und stieß mich auf das Bett. Er legte mir ein Kissen auf das Gesicht, um mich zu ersticken. Irgendwo sangen Leute eine Hochzeitshymne. Schreiend wachte ich auf.
    Jemand hämmerte an meine Tür. »Wer ist da?« fragte ich und setzte mich in meinem Bett auf. Ich zitterte und wußte nicht, wo ich war. Es war bitterkalt; das Fensterbrett war über und über mit Eis bedeckt, und das Mondlicht sickerte durch die Fensterläden.
    »Ich bin es, Gebieter.« Es war die Stimme meiner Sklavin Raedagunda.
    »Geht es dir gut?«
    »O ja. Nur ein Alptraum.«
    Ich hörte, wie Raedagundas Schritte sich in Richtung auf den Dachboden entfernten. Sie schlief oben. Ich zitterte immer noch. Es war unmöglich, an Schlaf zu denken, und so stand ich auf, kleidete mich an und legte mir meinen Pelzumhang über die Schultern, um nicht allzusehr zu frieren. Ich setzte mich an mein Schreibpult und beantwortete Thorions Brief.
    »An meinen lieben Bruder Theodoros, sei gegrüßt«, schrieb ich.
    Ja, ich will mein ganzes Leben lang ein Eunuch und Arzt bleiben. Thorion, mein Liebster, versuche doch, mich zu verstehen. Die Heilkunst bedeutet mir mehr als alles übrige auf der Welt. Und ich bin ein guter Arzt. Es würde mich umbringen, mich auf das beschränken zu müssen, was die Leute für schicklich halten. Vielleicht würde ich mich auch selbst umbringen. Ich könnte es nicht ertragen, ich müßte ersticken. Es mag sein, daß dies kein richtiges Leben ist, aber es ist das Leben, das ich vorziehe. Stelle mich nicht bloß. Wenn du das tätest, hättest du mich für den Rest deines Lebens auf dem Hals. Das weißt du genau. Du hast selbst gesagt, niemand würde mich heiraten, falls er Bescheid wüßte. Und was hätte es für einen Sinn, wenn ich in deinem Haus herumsäße, mit Schande bedeckt, unverheiratet und ohne meinen geliebten Beruf? Wenn du mir nicht vergeben kannst, erzähl den Leuten einfach, ich sei tot, und vergiß mich, so als sei es wirklich so.
    Ich versiegelte den Brief sehr sorgfältig, voller Angst, jemand könne ihn lesen, dann ging ich wieder zu Bett. Bevor ich einschlief, machte ich mir klar, daß ich eine andere Möglichkeit ausfindig machen müßte, um an Opium heranzukommen.

4
    Schließlich schrieb ich an Athanaric und bat ihn um Opium und andere Arzneimittel. Er hatte den Eindruck erweckt, an dem Wohlergehen der Soldaten an der Front interessiert zu sein, und ich hatte das Gefühl, er schätzte mich aufrichtig. Wahrscheinlich könnte er sie mit Philons Hilfe besorgen und sie mit der staatlichen Post schicken. Ich schrieb ihm einen äußerst ehrerbietigen Brief, in dem ich ihn darum bat, dafür zu sorgen, daß Philon das Opium und einige andere Heilkräuter für mich kaufen konnte. Ich legte einen Onyxring zwischen die Papyrusblätter, um für die Unkosten aufzukommen. Außerdem fügte ich noch einen Brief an Philon bei, in dem ich ihm die Situation erläuterte. Ich schickte sowohl diesen Brief als auch den Brief an Thorion mit dem kaiserlichen Kurier nach Konstantinopel. Dann stürzte ich mich in die Arbeit und versuchte, mir wegen all dieser Dinge keine Gedanken mehr zu machen.
    Der erste lange Winter ging zu Ende, und die Erde prangte in neuer Blütenpracht. Das ganze Delta schien eine einzige purpurfarbene, weiße und goldgelbe Fläche zu sein; neben jedem Stein blühten Veilchen, die Weißdornbüsche leuchteten, und jedes Stück offenes Land war übersät mit gelb leuchtendem Hahnenfuß. Ich hatte noch niemals so viele Vögel gesehen. Enten und Reiher, Wiedehopfe, Schwalben und Kuckucke, Schwäne, Krähen und Hunderte anderer, deren Namen ich nicht kannte. Auf dem Dach des Präsidiums nisteten Störche. Gemäßigtere Landstriche haben einen gemäßigteren Frühling, doch der thrazische Frühling war eine einzige trunkene Orgie. Es war unmöglich, nicht glücklich zu sein. Und an einem strahlenden Vormittag Ende Mai kam Athanaric in den Krankensaal des Hospitals spaziert, während ich gerade meine Runden machte.
    Er stolzierte herein und hatte ein Paar schwerer Satteltaschen über seine Schulter geworfen. »Chariton von Ephesus!« rief er so laut, daß er im ganzen Gebäude zu hören war. Und als ich mich umdrehte, schwenkte er die Satteltaschen durch die Luft und warf sie mir zu. »Hier sind die Arzneimittel, die Euer Ehren erbeten hat.«
    Ich fing sie auf und fiel fast um dabei. Ich warf einen Blick auf die Taschen, dann auf Athanaric, wie er dort stand, den Daumen unter seinen Schwertgürtel geklemmt, lachend.

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