Der Leuchtturm von Alexandria
meine Bücher kopieren lassen, und da er eine Naturbegabung war, hatte er soviel daraus gelernt, daß er das Hospital ebensogut leiten konnte wie ich. Außerdem hatte ich noch einen weiteren Schüler, einen Goten namens Edico. Er war der Neffe der weisen Frau Areagni, und er war extra über den Fluß gekommen, um die Kunst des Heilens von mir zu erlernen. Er war ein hochgewachsener, blonder junger Mann von außerordentlicher Intelligenz, aber leider ein Analphabet, so daß es sinnlos war, ihm zu sagen, er möge irgend etwas bei Dioskurides nachschlagen. Ich mußte ihm alles selbst erklären. Ich vereinbarte, daß einer der Pfleger ihm Lesen und Schreiben beibringen sollte. Aber das dauerte ihm alles zu lange, es fiel ihm sehr viel leichter zu begreifen, wie man ein Arzneimittel mischte oder einen Arm wieder einrenkte.
Inzwischen waren viele Goten aus dem Norden ihres Landes bis an den Fluß im Süden gezogen und bereiteten sich eifrig darauf vor, nach Thrazien hinüberzuwechseln, sobald die Römer es ihnen erlauben würden. Sie flohen vor den Hunnen. Viele kamen ohne eine Kupfermünze an, sie hatten ihren ganzen Besitz an die Eindringlinge verloren. Manche hatten sich Verletzungen zugezogen oder litten an alten, infizierten Wunden. Sie schlugen ihr Lager in der Nähe des Flusses auf, fischten, pflückten Beeren und bettelten um Nahrung. Frithigern versuchte, Nahrungsmittel unter ihnen zu verteilen, doch diese wurden allmählich knapp. Unter den aus dem Norden kommenden Goten grassierten die verschiedensten Krankheiten, da die Menschen durch den langen Marsch und den Hunger geschwächt waren. Frithigern erbat meinen Ratschlag, was er tun könne, um die Pest unter Kontrolle zu halten, und Sebastianus war äußerst interessiert daran, daß ich dem gotischen Herrscher behilflich sei: Er wollte unter allen Umständen vermeiden, daß sich die Krankheiten über den Fluß hinaus ausbreiteten. So setzte ich häufig hinüber und wieder zurück und versuchte, von meinen Sklaven etwas Gotisch zu lernen.
Ende Mai, als Diokles von Histria über das Flußdelta zurückkehrte, rammte das Boot einen unter dem Wasser liegenden Baumstamm und wurde aufgeschlitzt. Die Passagiere wurden von einem anderen Segelschiff geborgen, das zufällig in der Nähe war, doch Diokles kam mit pfeifendem Atem und am ganzen Körper zitternd in Novidunum an. Er legte sich ins Bett und stand nie mehr auf: Entweder war ihm das kalte Wasser oder aber irgend etwas, was er sich in Histria aufgelesen hatte, auf die Lungen geschlagen. Als dies passierte, befand ich mich gerade auf der anderen Seite des Flusses, um einige Pestfälle zu behandeln. Bei meiner Rückkehr hörte ich, Diokles sei krank und werde in seinem Hause von Xanthos gepflegt. Ich hatte ihn niemals gemocht, doch ich machte mich auf den Weg, um zu sehen, wie es ihm ging, und bot an, bei der Pflege zu helfen. Sie starrten mich beide wie Basilisken an; Xanthos erklärte mir, ich solle mich fortscheren. Nachdem ich ihn gebeten hatte, nicht so verschwenderisch mit Blutegeln und Nieswurz umzugehen, machte ich mich davon. Ich spürte – vielleicht zu Unrecht –, daß ich in diesem Fall nur eine Empfehlung aussprechen konnte: Ich war nicht dazu berechtigt, einem Kollegen eine Behandlungsmethode aufzuzwingen, die er verabscheute.
Xanthos ignorierte meinen Ratschlag natürlich. Als Diokles eine Woche später starb, war er völlig ausgeblutet. Xanthos war zumindest konsequent gewesen: Er wandte bei Freunden dieselben abscheulichen Methoden an wie bei Fremden. Wahrscheinlich haben nur wenige Patienten diese Methoden überlebt, doch er war von ihrer Wirksamkeit überzeugt. Am Tod von Diokles jedoch gab er mir die Schuld.
Kaum hatte ich davon gehört, daß Diokles tot war, als Valerius mich zu sich auf das Präsidium bestellte. Er mochte mich immer noch nicht, war jedoch von all meinen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Hospital tief beeindruckt und behandelte mich mit großem Respekt. »Hm, ja, höchst geschätzter Chariton«, sagte er an seinem Schreibpult sitzend und überflog ein Stück Papyrus. »Es tut mir sehr leid, aber, hm, dein Kollege, der höchst ehrenwerte…. das heißt, dein Kollege Xanthos bezichtigt dich der Zauberei.«
Ich starrte ihn an. Das Sezieren, dachte ich, doch warum hatte er so lange damit gewartet? »Was soll ich denn getan haben?« fragte ich vorsichtig.
Valerius spitzte angeekelt seine Lippen und nahm das Stück Papyrus erneut zur Hand. »Er behauptet hier, du habest den
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