Der Leuchtturm von Alexandria
tun soll?«
Er lächelte ein wenig kleinlaut: »Etwas, was für einen Anhänger des Hippokrates eine Schande ist. Aber sie wollte ja unbedingt etwas Magie. Die hippokratische Medizin kann so wenig versprechen. Wir sagen immer, überlaß nur alles der Weisheit des Körpers: Dein Körper wird sich erholen, wenn er kann. Aber inzwischen leidet die Frau, sie hat starke Schmerzen und schreckliche Angst. Ein Zauberer taucht auf und sagt: ›Ich kann dich heilen‹, und das ist mehr, als der Arzt ihr versprochen hat, und so hört sie auf ihn. Nun ja, ich habe ihr meine Art Talisman gegeben, um sie nicht unglücklich zu machen, und wenn er sie beruhigt, dann wird ihr schon allein das helfen.«
Er machte sich zum nächsten Patienten auf den Weg, und ich folgte ihm langsam und äußerst nachdenklich. Das alles unterschied sich doch sehr von den hippokratischen Methoden, von denen ich gelesen hatte. Philon sah sich um, dann blieb er stehen, damit ich ihn einholen konnte.
»Die Praxis unterscheidet sich eben von der Theorie«, meinte ich und entschuldigte mich damit für meine Bummelei.
Er lächelte: »Da hast du bereits etwas gelernt, was die Hälfte der Ärzte im Tempel nicht wissen.«
Ich lächelte meinerseits und fragte ihn: »Hast du denn überhaupt eine Theorie, nach der du arbeitest?«
Er wurde ernst und zuckte die Achseln. »Nicht unbedingt. Ich bin kein Anhänger von Galen oder sonst einer bestimmten Lehre und auch kein Allopath – die Professoren oben auf dem Tempel haben mehr Theorien als ein Hund Flöhe, und ich kann sie unmöglich alle kennen und sie dir sicherlich auch nicht beibringen. Aber ich kann praktizieren. Einige werden dir erzählen, wenn man einen Patienten ohne eine bestimmte Theorie behandeln will, nur mit einem Messer in der einen und einem Arzneimittel in der anderen Hand, könne man genauso gut im Nebel herumstochern. Aber meiner Ansicht nach ist keine der Theorien wirklich hieb und stichfest, und man muß sich so gut wie irgend möglich im Nebel vorantasten. Man darf nur nicht vergessen, daß man sich mitten im Nebel befindet. Ich versuche, die Symptome zu behandeln, dem Patienten Mut zuzusprechen und dem Körper dabei behilflich zu sein, sich selbst zu heilen. Ich kann dir ein paar Dinge beibringen, mit denen ich Erfolg hatte, aber keine großen Geheimnisse.«
»Das klingt sehr nach Hippokrates.«
»Hippokrates wußte weniger als Galen, aber er verstand mehr. Das glaube ich zumindest.« Das Lächeln erschien erneut. »Wir müssen uns beeilen: Ich habe noch einen Patienten, der mich erwartet.«
Nachdem ich eine Woche lang mit Philon gearbeitet hatte, war ich froh darüber, daß die angeseheneren Ärzte mich abgewiesen hatten, denn ich hätte keinen besseren Lehrmeister finden können. Er entsprach meinem Ideal von einem wirklichen Hippokratiker: gelehrt, unvoreingenommen, ein methodischer Beobachter – außerdem selbstlos, großzügig und freundlich. Die ärmeren Patienten behandelte er aus reiner Nächstenliebe, und er nahm keine Kupfermünze von jemandem, der es sich nicht leisten konnte. Er tat es, wie er sich ausdrückte, »aus Liebe zu Gott«, und da die meisten Patienten, die er auf dieser Basis annahm, Ägypter, Christen oder Heiden waren, Leute, die den Juden gegenüber normalerweise nur Verachtung hatten, war seine Großzügigkeit erstaunlich. Außerdem war er ein guter Lehrer: Er liebte es, die Dinge zu erklären, und nahm sich wirklich Zeit für mich. Und es freute ihn, wenn ich durchdachte Fragen stellte. Auch er schien inzwischen glücklicher zu sein mit mir und gab seine frühere, recht zurückhaltende Art auf. Er nannte mich Chariton statt »geschätzter Herr«, und gelegentlich entfuhren ihm sarkastische Bemerkungen oder spöttische Scherze über seine Patienten wie: »Der da möchte gerne gelobt werden, daß er so gut spucken kann« oder »Nimm ihre Symptome nicht so ernst, mein Junge – sie hat das bloß wegen deiner schönen Augen gesagt!« Er schlug vor, ich solle mir doch ein Quartier in größerer Nähe seines Hauses suchen, um nicht jeden Morgen den weiten Weg vom Hafen herauf bis zu unserem Treffpunkt machen zu müssen.
Ich fragte ihn, ob er ein Haus ohne Flöhe kenne. »Irgend etwas, wo ich ein Bad nehmen kann«, sagte ich. »Ich mag die öffentlichen Bäder nicht benutzen und fühle mich allmählich wie ein Mönch aus der entferntesten Wüste.«
Philon lachte und sah mich dann verlegen an. »Wir haben ein unbenutztes Zimmer in meinem Haus«, meinte er. »Es
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