Der Leuchtturm von Alexandria
entscheidenden Schritt. »Ich brauche dringend einen Assistenten. Eigentlich sollte mein Neffe bei mir lernen, aber er starb voriges Jahr an einem tückischen Fieber. Natürlich müßtest du dich selbst darum kümmern, Vorlesungen zu besuchen, aber ich bin ja auch mit der hiesigen Schule liiert …« E r hustete und räusperte sich. »Natürlich, ich bin nicht so gebildet. Ich bin mit dem Gesetz des Moses aufgewachsen, nicht mit Homer und den Klassikern – aber ich kenne meinen Hippokrates. Ich kenne ihn besser als die Thora, Gott möge mir vergeben! Wenn es dir nichts ausmacht, bei einem Juden zu lernen, der nichts anderes zitieren kann als ›Sing, Göttin des Zorns‹, dann bist du willkommen und kannst bei mir in die Lehre gehen.«
»Wenn du Hippokrates kennst«, sagte ich, »dann kannst du die Werke Homers in den Großen Hafen werfen. Aber ich bin Christ – macht dir das nichts aus?«
»O nein, nein!« sagte er und lächelte erneut. »Das wäre eigentlich sogar sehr nützlich.«
So gingen wir also zu Adamantios und fragten uns dabei wahrscheinlich alle beide, auf was wir uns da einließen. Adamantios begrüßte Philon herzlich, und als er hörte, weshalb dieser gekommen war, machte er zuerst einen überraschten, dann amüsierten Eindruck. Er schüttelte mir die Hand und gratulierte mir herablassend: Philon würde mich also zu seinem Assistenten machen und war damit einverstanden, mir die Heilkunst beizubringen. Es stand mir natürlich frei, Vorlesungen von anderen Ärzten zu besuchen, falls ich eine Gebühr dafür bezahlte. Und wenn ich glaubte, genug gelernt zu haben, würden mich die medizinischen Professoren des Museums einer Prüfung unterziehen. Ich willigte ein, Philon zehn Solidi zu zahlen, sobald es mir gelungen sei, meinen Schmuck zu verkaufen, und wir schüttelten uns die Hände, um den Handel zu besiegeln.
Dann ging ich in meine Unterkunft zurück und machte mir schrecklich viele Gedanken. Ich wußte überhaupt nichts von Philon. Ich war gerade lange genug in der Stadt, um zu wissen, daß die Ägypter die Juden haßten und daß die anderen Leute des Museums, die meistens Heiden waren, ihnen mißtrauten und soweit wie irgend möglich keine Notiz von ihnen nahmen. Was also, falls der Mann nun unehrlich oder ganz einfach unfähig war? Andererseits war Adamantios ebenfalls Jude und überall anerkannt – aber er gehörte ja auch zur Oberklasse und hatte sicher mehr Homer gelesen als die mosaischen Gesetze. Nun, dachte ich bei mir, ich kann ja auch die Vorlesungen besuchen und andere Meinungen hören, ich müßte eigentlich etwas lernen können, selbst wenn Philon mir nicht viel beibringen kann. Aber dann fing ich an, mir wegen der Vorlesungen und wegen der anderen Studenten Sorgen zu machen. Ich hatte sie bereits überall gesehen: beim Studium von Büchern in der Bibliothek, beim Diskutieren am Brunnen vor dem Tempel, beim Untersuchen von Kräutern in den Tempelgärten. Es waren alles junge Männer, etwa in meinem Alter oder etwas älter, und sie machten ausnahmslos den Eindruck, als kannten sie bereits sämtliche Geheimnisse der Natur. Sie wußten sicherlich sehr viel mehr als ich. Und ich hatte den Verdacht, daß sie mich schon jetzt verachteten. Aber das durfte mir nicht soviel ausmachen, sagte ich mir und versuchte, meine Angst zu besänftigen. Jetzt bin ich hier in Alexandria und morgen werde ich mit dem Studium der Heilkunst beginnen. Selbst wenn ich nichts weiß, selbst wenn ich mich dabei nicht sehr geschickt anstelle, so ist es doch genau das, was ich mir mein ganzes Leben lang gewünscht habe. Ein Traum ist wahr geworden. Und schon ging es mir besser. Ich holte mein Exemplar des Galen hervor und las darin, neugierig auf alles, was es zu lernen gab.
2
Am nächsten Morgen traf ich Philon am Tempel, so wie wir es vereinbart hatten. Als er mich sah, machte auch er einen etwas unsicheren Eindruck, aber er hieß mich höflich willkommen, und wir begannen seinen Rundgang.
Philons Patienten waren in der Hauptsache Juden, aber es gab auch vereinzelt Griechen und Ägypter aus der Unterklasse. Wir kamen auf unserem Weg in eine Anzahl schmalbrüstiger Häuser und Wohnquartiere, von denen einige im Südosten der Stadt an die Rückseite winziger Läden angebaut waren. Da gab es zum Beispiel einen Schiffszimmermann, der sich von einem heimtückischen Fieber erholte; die kleine Tochter eines Kopisten mit Ohrenschmerzen; die Frau eines Badewärters mit einem gebrochenen Schlüsselbein. »Ich fürchte,
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