Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
solange er hier noch arbeitete, hatten wir schließlich auch nur beruflich miteinander zu tun. Jetzt will ich aber wirklich wissen, warum Sie mir all diese Fragen stellen.« Ihre Stimme wurde etwas lauter, ihre Hände umklammerten die Tischplatte.
»Mats wurde vorgestern tot aufgefunden. Erschossen.«
Leila schnappte nach Luft. »Das ist nicht wahr.«
»Leider doch«, sagte Patrik. Leila war kreidebleich geworden. Er überlegte, ob er aufstehen und ihr ein Glas Wasser holen sollte.
Sie schluckte und riss sich zusammen, doch ihre Stimme bebte noch immer: »Warum? Weiß man es schon?«
»Bisher handelt es sich um einen unbekannten Täter.« Patrik hörte selbst, dass er wie üblich in den trockenen Polizeijargon fiel, wenn eine Situation zu emotional wurde.
Leila war offensichtlich erschüttert.
»Gibt es einen Zusammenhang mit …« Sie brachte den Satz nicht zu Ende.
»Im Moment wissen wir gar nichts«, sagte Paula. »Wir versuchen lediglich, mehr über Mats herauszufinden. Vielleicht gab es in seinem Leben jemanden, der ein Motiv hatte, ihn zu töten.«
»Sie machen hier ja eine recht ungewöhnliche Arbeit«, sagte Patrik. »Ich nehme an, Drohungen sind Ihnen nicht ganz unbekannt.«
»Nein, das sind sie nicht«, sagte Leila. »Auch wenn sie sich eher gegen die Frauen als gegen uns richten. Außerdem hat sich Mats in erster Linie um die Finanzen gekümmert und war nur für wenige Frauen der Ansprechpartner. Und er arbeitet, wie gesagt, schon seit einigen Monaten nicht mehr bei uns. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie …«
»Erinnern Sie sich an besondere Vorkommnisse aus seiner Zeit hier? Eine außergewöhnliche Situation oder eine Drohung, die speziell gegen ihn gerichtet war?«
Wieder meinte Patrik, in ihrem Blick etwas aufblitzen zu sehen, der Schimmer verschwand jedoch so schnell, dass er nicht wusste, ob er ihn sich nur eingebildet hatte.
»Nein, nichts dergleichen. Matte hielt sich meistens im Hintergrund. Er hat sich um die Buchhaltung gekümmert. Soll und Haben.«
»Wie viel Kontakt hatte er zu den Frauen, die hier Hilfe suchten?«, fragte Paula.
»Sehr wenig. Er war in erster Linie mit der Verwaltung betraut.« Die Nachricht von Mats’ Tod schien Leila noch immer zu erschüttern. Sie sah Patrik und Paula fragend an.
»Dann wäre das im Moment alles«, sagte Patrik. Er zog sein Kärtchen aus der Tasche und legte es Leila auf den blitzblanken Schreibtisch. »Wenn Ihnen oder einem der anderen Mitarbeiter etwas einfällt, brauchen Sie nur anzurufen.«
Leila nickte und griff nach der Visitenkarte. »Auf jeden Fall.«
Nachdem sie sich verabschiedet hatten, fiel die schwere Stahltür hinter ihnen wieder zu.
»Was denkst du?«, fragte Patrik leise, während sie die Stufen hinuntergingen.
»Ich glaube, sie verheimlicht uns etwas«, sagte Paula.
»Das sehe ich auch so.«
Patriks Miene verfinsterte sich. Sie würden Freistatt genauer unter die Lupe nehmen.
Fjällbacka 1871
S chon den ganzen Tag herrschte eine merkwürdige Stimmung. Karl und Julian hatten abwechselnd im Leuchtturm nach dem Rechten gesehen und hielten sich im Übrigen von ihr fern. Keiner der beiden sah ihr in die Augen.
Auch die Anderen spürten, dass etwas Unheilverkündendes in der Luft lag. Sie waren öfter anwesend als sonst, tauchten hastig auf und verschwanden genauso rasch. Türen schlugen, und im oberen Stockwerk hörte sie Schritte, die verhallten, wenn sie sich näherte. Sie wollten etwas von ihr, das verstand sie, aber sie wusste nicht, was. Mehrmals spürte sie einen Atemhauch an der Wange und wurde am Arm oder an der Schulter berührt. Eine federleichte Berührung der Haut, die sie sich schon im nächsten Augenblick nur eingebildet zu haben schien. Sie wusste jedoch, dass die Berührung real war, genauso real wie ihr Wunsch zu fliehen.
Sehnsüchtig blickte Emelie aufs Eis. Vielleicht sollte sie sich hinauswagen? Kaum hatte dieser Gedanke sie gestreift, spürte sie auf dem Rücken eine Hand, die sie zur Haustür drängte. Wollten sie ihr das sagen? Dass sie gehen sollte, bevor es zu spät war? Ihr fehlte jedoch der Mut. Ruhelos wanderte sie durchs Haus. Sie putzte, werkelte herum und versuchte, sich abzulenken. Das Fehlen der bösartigen Blicke war noch unheilverkündender und erschreckender als die Blicke selbst.
Rings um sie herum verlangten die Anderen ihre Aufmerksamkeit. Sie wollten sie zum Zuhören bewegen, doch sosehr sie sich auch abmühte, sie wurde aus ihnen nicht klug. Sie nahm die Hände wahr, die
Weitere Kostenlose Bücher