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Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht

Titel: Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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der Straße zugewandt war und vor der Burden jetzt seinen Wagen parkte, war eigentlich die Rückseite oder genauer gesagt die Gartenseite. Aus dieser Nähe gab es keinen Zweifel, daß Saltram House nur noch eine leere Hülse war. Er ging zu einem der Fenster hin und starrte in die stille, dämmrige und schweigende Tiefe. Holunder und junge Eichen - denn wie alt ist eine ausgewachsene Eiche? - hoben ihr Geäst aus Sand und Trümmern. Die Narben des Feuers waren längst verheilt, die Schwärze weggewaschen in fünfzig regnerischen Wintern. Die Blätter leuchteten goldfarben und grellgelb, sie lagen zu Tausenden auf zerborstenem Stein und Schutt. Das Haus hatte schon so ausgesehen, als Jean und er zuerst hergekommen waren, mit dem einzigen Unterschied, daß die Bäume höher und die Natur zügelloser und arroganter in ihrer Vereinnahmung geworden war, und doch schien es ihm, als sei die Zerstörung persönlicher Natur, Symbol seiner eigenen.
    Er las nie Gedichte. Er las überhaupt selten. Aber wie viele Leute, die nicht lesen, hatte er ein gutes Gedächtnis, und manchmal fiel ihm unvermittelt eines von Wexfords Zitaten ein. Unsicher und verwundert flüsterte er:
    »Wenn ich dies Wandelleben überseh
Ja, Leben selbst zum Untergang getrieben
Kam unter Trümmern mir dies Grübeln nah:
Einst kommt auch Zeit und fordert deinen Lieben...«
    Er wußte nicht, wer das gesagt hatte, doch auf jeden Fall war es einer, der Bescheid wußte. Er wandte sich ab. Hier kam man nicht hinein. Man ging durch den Vordereingang, nachdem man zuerst das, was einmal ein ‘Italienischer Garten’ gewesen war, durchklettert hatte.
    Rechts und links von ihm erstreckte sich ein sanft abfallender, vernachlässigter Park. Wem wohl das Land gehörte? Weshalb bearbeitete es niemand? Er wußte die Antworten nicht, nur, daß dies hier ein ruhiger und schöner Dschungel war, wo das Gras hoch und wild wuchs und die Bäume von der Natur, nicht vom Menschen, gepflanzt waren, Zedern und Ilex, und der hohe, schlanke Gingkobaum der chinesischen Einwanderer hob stolze Stämme und noch stolzere Äste aus einer fremden Erde. Es war eine Wildnis von verzweifelter Traurigkeit, denn sie mußte gepflegt werden, war dazu ausersehen, gepflegt zu werden, doch diejenigen, die sie gern gepflegt hätten, waren von der zerstörerischen Zeit hinweggerafft worden. Er bog Zweige beiseite und Äste und Unterholz und kam zu dem unvergleichlich viel schöneren Vordereingang von Saltram House.
    Gekrönt wurde er von einem hohen Giebel mit einem Fries klassischer Figuren, und darunter, über der Eingangstür, einer vertikalen Sonnenuhr, blauer Himmel mit goldenen Figuren, an denen Wind und Regen zwar ihre Spuren hinterlassen, die sie jedoch nicht hatten zerstören können. Von seinem Standort aus konnte Burden den Himmel durch das Gerippe sehen, so blau wie der auf der Sonnenuhr.
    Es war nicht mehr möglich, schon seit Jahren nicht mehr, ohne Kletterei in den ‘Italienischen Garten’ oder ins Haus zu gelangen. Burden krabbelte über eine einsfünfzig hohe Mauer bröckeligen Gesteins, durch deren Risse Brombeerranken und Zaunwinden ihre Fühler streckten.
    Er hatte die Brunnen nie plätschern sehen, doch er wußte, daß früher welche dagewesen waren. Vor zwölf Jahren, als er und Jean zum erstenmal so weit vorgedrungen waren, hatten zwei Bronzefiguren mit Vasen in den hocherhobenen Händen zu beiden Seiten der überwucherten Auffahrt gestanden. Doch in der Zwischenzeit hatten Vandalen die Statuen von ihren Sockeln gerissen, gierig vielleicht auf das Blei der Rohre.
    Eine war eine Knabenfigur gewesen, die andere ein Mädchen im fein gefältelten Gewand. Der Knabe war verschwunden, aber das Mädchen lag zwischen dem Unkraut, und langblättriges Geißblatt mit seinen gelben Blüten trieb seine Stengel zwischen ihrem Arm und der Biegung ihres Körpers hindurch. Burden bückte sich und hob die Statue hoch. Sie war zerbrochen und halb von Grünspan zerfressen, und der Boden darunter war ganz kahl, ein Stück blanker Erde, das merkwürdiger- und makabrerweise die Form eines kleinen menschlichen Körpers hatte.
    Er legte den Metallklumpen, der einst ein Brunnen gewesen war, zurück und stieg die brüchigen Stufen hinauf zur Tür. Aber sobald er auf der Schwelle stand, wo einst Gäste angekommen waren und ihre Mäntel einem Bediensteten in die Hand gedrückt hatten, sah er, daß man hier keine Leiche verstecken konnte, nicht einmal den kleinen Körper eines Fünfjährigen.
    Denn alles in

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