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Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht

Titel: Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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Mann deutete mit ausdruckslosem Gesicht ein Nicken an. “Wir haben eine Nichte in der Nähe von Kingsmarkham wohnen, in einem so reizenden kleinen Haus aus dem siebzehnten Jahrhundert, und wir sind bis zu diesem Jahr regelmäßig in Urlaub hingefahren. Aber jetzt...«
    Wexford, der sich, während sie sprach, im Zimmer umgesehen und besonders die gerahmten Fotos der älteren Scott-Kinder betrachtet hatte, die noch lebten - mittleren Alters inzwischen und mit eigenem Nachwuchs im Teenageralter -, folgte ihrem Blick auf deren Erzeuger.
    Unnötig zu fragen, weshalb sie nicht mehr nach Kingsmarkham fuhren, oder zu ergründen versuchen, warum sie keine Urlaube mehr machten. Scott war ein eingefallener, kleiner Mann, der auf die Achtzig zuging. Sein Gesicht war bös entstellt, besonders um den Mund herum. An den Armlehnen seines Sessels hingen zwei Stöcke. Wexford nahm an, daß er ohne sie nicht laufen konnte, und aus seinem Schweigen schloß er allmählich, daß er auch die Sprache verloren hatte. Es kam wie ein Schock, als der verzerrte Mund sich öffnete und eine harsche Stimme sagte:
    »Wie wär’s mit einer Tasse Tee, Ena?«
    »Gleich, Lieber.«
    Mrs. Scott sprang auf und bedeutete Wexford, sie in die Küche zu begleiten. Ein etwas steril wirkender Ort voller Gerätschaften und so modern ausgestattet, daß das Herz jeder Superhausfrau höher schlagen mußte, doch Mrs. Scott schien zu glauben, sie müsse sich entschuldigen.
    »Mr. Scott hatte Anfang des Jahres einen Schlaganfall«, erklärte sie, während sie den Elektrokessel füllte und einsteckte, »und er ist wirklich gealtert dadurch. Er ist überhaupt nicht mehr der, der er mal war. Deshalb sind wir von Colchester hierhergezogen. Aber wenn er noch er selbst wäre, dann hätte ich hier alles vollautomatisch, und er hätte alles selbst gemacht und es nicht den Handwerkern überlassen. Ich wünschte, Sie hätten mein Haus in der Stadt sehen können. Die Zentralheizung war zu heiß. Man mußte Tag und Nacht die Fenster auflassen. Mr. Scott hatte alles selbst gelegt. Natürlich, er war ja sein ganzes Leben lang in der Branche, da gibt es nichts, was er nicht weiß über Heizungen und Rohrleitungen und all so was.« Sie hielt inne und schaute auf den Kessel, der leise, wimmernde Töne von sich gab, dann fuhr sie mit einer Stimme fort, die etwas Explosives zu unterdrücken schien: »Wir haben in der Zeitung von diesem Mann, Swan, gelesen und daß Sie alles wieder aufrollen mit seiner kleinen Tochter. Es hat Mr. Scott ganz krank gemacht, nur den Namen zu sehen.«
    »Das Kind ist letzten Winter gestorben.«
    »Damals hat Mr. Scott die Zeitungen nicht gesehen. Er war zu krank. Wir wußten gar nicht, daß Swan in der Nähe unserer Nichte wohnte, sonst wären wir nicht hingefahren. Na ja, er hat dort gewohnt, als wir letztes Mal da waren, aber wir wußten es nicht.« Sie ließ sich auf der plastikbezogenen, modernen Ausgabe einer Küchenbank nieder und seufzte. »Es hat an Mr. Scott gezehrt all die Jahre hindurch, arme kleine Bridget. Ich könnte mir vorstellen, daß es ihn umgebracht hätte, wenn er diesem Swan plötzlich begegnet wäre.«
    “Mrs. Scott, es tut mir leid, daß ich Sie das fragen muß, aber glauben Sie, er hat Ihre Tochter möglicherweise ertrinken lassen? Ich meine, halten Sie es für möglich, daß er wußte, daß sie drauf und dran war zu ertrinken, und es einfach geschehen ließ?«
    Sie schwieg. Wexford sah altes Leid über ihr Gesicht gleiten, in die Augen steigen und wieder vergehen. Das Wasser kochte zischend auf, und der Kessel schaltete sich ab.
    Mrs. Scott stand auf und fing an, den Tee zu machen. Sie war ziemlich gefaßt, wenn auch traurig, doch es war eine alte, ausgelaugte Trauer. Die Finger am Kesselgriff und die Hand an der Teekanne zitterten nicht. Ein großer Kummer hatte sie betroffen, der einzige, der laut Aristoteles unerträglich ist, doch sie hatte ihn getragen, hatte weiter Tee gebrüht, weiter über Zentralheizungen jubiliert. So würde es eines Tages für Mrs. Lawrence sein, überlegte Wexford. Aristoteles wußte nicht alles, wußte vielleicht nicht, daß die Zeit Wunden heilt, alles zu Staub zermahlt und nur gelegentliche Melancholie zurückläßt.
    »Mr. Scott mochte sie am liebsten«, sagte Bridgets Mutter schließlich. »Für mich war es anders. Ich hatte meine Söhne. Sie wissen vielleicht, wie es für einen Mann ist mit seiner kleinen Tochter, seiner Jüngsten...,
    Wexford nickte und dachte an Sheila, seinen kostbarsten

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