Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
schweren Lider klappten erneut herunter. “Ich kam mir vor wie Judas«, sagte er.
»Was geschah an dem Morgen, an dem Bridget ertrunken ist?«
Frensham hielt noch immer die Augen geschlossen, und seine Aussprache wurde undeutlich. “Ich bin nie mit Ivor zum Angeln gewesen. Ich bin kein Frühaufsteher. Aber Ivor. Man sollte meinen, ein Mann wie - ein Mann wie er würde spät ins Bett gehen und morgens lange liegenbleiben. Aber Ivor war immer um sechs auf. Natürlich schlief er tagsüber, wenn er Gelegenheit hatte. Er konnte überall schlafen. Aber er mochte den frühen Morgen und das Ländliche, den Frieden ringsum und das Licht.« Frensham gab ein komisches kleines Geräusch von sich, es klang wie ein Schluchzer. »Er hat immer diese Zeilen von W. H. Davies zitiert: ‘Was soll dies Leben, wenn wir nie verweilen, in Sorge rastlos immer weiter eilen?’«
»Erzählen Sie weiter von dem Morgen.«
Frensham setzte sich auf, sackte halb nach vom und stützte die Ellbogen auf die Knie, das Kinn in die Hände. »Ich weiß nicht. Ich war nicht dabei. Ich wachte davon auf, daß Leute im Flur vor meinem Zimmer herumrannten und durcheinanderschrien. Sie können sich vorstellen, daß ich rauslief. Die Mutter war da, völlig außer sich, und dieser arme alte Mann, Scott.«
»Alt? Bridgets Vater?«
»Nicht richtig alt, nehme ich an. Vielleicht sechzig. Die Mutter war jünger. Sie hätten noch ältere Kinder, sagte jemand. Spielt es eine Rolle? Ich fand Ivor im Speisesaal, wo er Kaffee trank. Er sah weiß aus. Er sagte: Es hatte nichts mit mir zu tun. Warum zieht man mich da rein? Und das war alles, was er je dazu geäußert hat.«
»Sie meinen, er hat nie mehr mit Ihnen über Bridget Scotts Tod gesprochen? Auch nicht, als Sie beide zur Verhandlung mußten?«
»Es ärgerte ihn, weil wir über das Ende unserer Ferien hinaus bleiben mußten«, erinnerte sich Frensham, und nun hatte sich ein Schleier über seine Augen gelegt. War es Erschöpfung? Tränen? Oder nur die Wirkung des Alkohols? »Nach - nach der Verhandlung wollte er mich nicht darüber reden lassen. Ich weiß nicht, was er empfunden hat.« Sehr leise fügte Frensahm hinzu: »Es war vielleicht Gefühlsarmut, oder er war unglücklich, oder er wollte es einfach nur vergessen. In den Tageszeitungen stand nicht viel darüber, und als wir heimkamen, wußte niemand etwas, bis - bis Adelaide es erzählt hat...
»Was glauben Sie, weshalb hat er sie ertrinken lassen?« wollte Wexford wissen.
»Sie war ihm im Weg«, sagte Frensham, und dann fing er leise an zu weinen. »Wenn Leute ihn ärgerten oder anfingen ihn zu - zu langweilen, dann - dann hat er - sie - einfach - einfach...« Zwischen den Wörtern lagen Schluchzer. »... einfach ignoriert - vorgegeben - sie - seien - nicht - da - nicht gesprochen - nicht - gesehen - sie - waren - einfach - nicht - vorhanden - hat - es mit mir - so - gemacht - nach - späterhin...« Er machte eine abrupte Bewegung, und das Brandyglas fiel um. Ein Fleck breitete sich auf dem dicken, hellen Teppich aus.
Wexford öffnete die Tür und rief: »Hallo, Jesus, oder wie immer Sie heißen, Ihr Herr braucht Sie. Sie bringen ihn wohl besser ins Bett.«
Der Mann kam herein, verbeugte sich und lächelte. Er schob seine Arme unter Frenshams Achseln und flüsterte ihm etwas zu. Frensham hob den Kopf und sagte in normalem, klarem Ton zu Wexford: »Weinlaub im Haar...« Dann schloß er die Augen und glitt in die Bewußtlosigkeit.
17
In der Freitagsausgabe des Kingsmarkham Courier erschien auf der ersten Seite ein doppelspaltiger Aufruf an die drei fehlenden Männer aus dem Suchtrupp, sich zu melden. Schöne Hilfe würde das sein, dachte Wexford, als er es las. War es Martin, als er Harry Wild um Publikation bat, denn nicht in den Sinn gekommen, daß ein solcher Appell nur die Unschuldigen ermuntern würde, sich zu melden? Und wo blieb Burden bei all dem, Burden, der Wexford in dessen Abwesenheit vertreten sollte, und der doch ebenso überrascht von diesem Zeitungsaufruf war wie er?
Als er aus London zurückkam, hatte er bei Burden zu Hause angerufen. Er mußte mit jemandem über sein Gespräch reden, außerdem dachte er, es sei vielleicht eine Möglichkeit, Burdens Interesse wieder zu wecken. Doch Grace Woodville hatte ihm gesagt, ihr Schwager sei außer Haus, und sie wisse nicht, wo.
»Ich könnte mir denken, daß er irgendwo in seinem Auto sitzt und über Jean nachdenkt und - und alles.«
»Er sollte immer eine Telefonnummer hinterlassen,
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