Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
Spätestens um Viertel vor elf geht er.« Sie seufzte, und Wexford vermutete, daß dieser frühzeitige Weggang ein ewiger Zankapfel zwischen ihnen war. Erstaunlich scharfsinnig sagte sie: »Sie wollen wohl wissen, ob ihm was aufgefallen ist an dem Abend, als die vom Herrenhaus umgebracht wurde?«
»Genau. Ich möchte fragen, ob Mr. Tawney einen Blick auf Mr. Villiers’ Bungalow - Sie wissen, welchen ich meine? - geworfen hat, als er zurück nach Clusterwell geradelt ist.«
»Das mit dem Blick weiß ich nicht. Aber er hat versucht, sie rauszuklopfen, stimmt’s nicht, Alf?«
»Hm«, sagte Tawney. Wexford war ganz Ohr und wartete.
»Sag schon, Alf. Der Herr hat dich etwas gefragt.« Ein Beben durchlief Tawneys Körper, als versuche er, tief in seinem Innersten die Sprache zu finden. »Er hatte da eine Stinkwut im Bauch«, erzahlte Mrs. Lovell. »Hat für seine Verhältnisse ziemlich viel gesprochen. Na los, Alf.«
Tawney machte den Mund auf.
»War zwecklos«, sagte er. »Sie waren nicht da, Fenster und Türen zu.«
»Damit wir uns richtig verstehen« - Wexford reimte sich die Geschichte so gut es ging zusammen und leistete im Geiste Abbitte bei Burden -, »Mr. Tawney fuhr nach Hause, als ihn ein Auto überholte und beinahe vom Rad stieß.« Mrs. Lovells anerkennungsvolles Grinsen verriet ihm, daß er auf der richtigen Fährte war. »Aber er schrieb sich die Nummer des Wagens auf, die er der Polizei geben wollte, damit sie den Fahrer ermitteln konnte.«
»Die Nummer hat er sich nicht aufgeschrieben.« Mrs. Lovell fischte aus einer Papiertüte das letzte Hörnchen heraus. »Er hat gewußt, wer’s war. Die junge Ausländerin vom Herrenhaus.«
»Mr. Tawney hat bei Villiers geklopft, weil er telefonieren wollte?« Unglaublich, sich vorzustellen, wie Tawney die Sache erklärte, sich entschuldigte, wählte, sie nochmals erklärte.
»Im Haus war’s stockdunkel«, erklärte Mrs. Lovell ausführlich.« Alf hat sich fast die Finger wundgeklopft, aber niemand ist an die Tür gekommen, stimmt’s?«
»Jupp«, sagte Tawney.
Und so was nennt sich dann Beweis vom Hörensagen, dachte Wexford bei sich. »Um wieviel Uhr war das?«
»Alf ist um halb elf hier weggefahren. Er klopfte schon eine ganze Weile, als er hörte, wie die Uhr im Kirchturm von Clusterwell elf schlug. Na los, Alf, erzähl’s du ihm. Du bist dabeigewesen.«
Tawney kippte den letzten Schluck Tee hinunter, vielleicht um seine eingerosteten Stimmbänder damit zu schmieren. »Ich hab geklopft, ist aber niemand gekommen.« Er hustete entsetzlich, und Wexford wandte den Blick ab. »Er ist nicht da und sie auch nicht, hab ich mir gesagt.«
»So ist’s recht, Alf.« Mrs. Lovell strahlte ihn aufmunternd an.
»Das hätte ich mir denken können. Das Garagentor stand offen.«
»Und von den beiden Autos keine Spur! Deshalb hat er’s aufgegeben, und am nächsten Morgen - nun, so ein Zorn verfliegt schnell wieder. Man denkt sich: Was regst du dich auf, die Knochen sind ja noch heil. Aber der kleinen Ausländerschlampe erzähl ich was, wenn sie mir im Dorf über den Weg läuft; darauf können Sie Gift nehmen.«
Arme Nelleke. Wexford spielte mit dem Gedanken, ob er ihr nicht einen zarten Wink geben sollte, unter vier Augen, wo er sie mit Vornamen anreden konnte, wenn sie ihm dieses Vorrecht auch nur deshalb eingeräumt hatte, weil er sie an einen alten Onkel erinnerte. Den freundlichen Onkel spielen - das fehlte noch! Er lachte in sich hinein. Lieber nicht, lieber schön sicher an den Mast gefesselt bleiben, während die Sirene für andere sang.
Im September sehen gewöhnlich auch die gepflegtesten Gärten ein wenig verwildert aus. Dieser hier bildete eine Insel der Ödnis zwischen den Feldern, ein steriles, tristes Stück Land, auf dem jeder widerspenstige Ast und jeder wuchernde Halm zurechtgestutzt war. Das Gras war braun und sehr kurz gemäht; nirgends bot sich ein schattiges Plätzchen.
Denys und Georgina Villiers saßen in zwei Liegestühlen der unbequemen, billigen Sorte, die Metallgestelle und kümmerlich schmale hölzerne Armlehnen haben. Wexford beobachtete sie einen Augenblick, ehe er sich bemerkbar machte. Der Mann, der behauptet hatte, er lese keine Zeitungen, war jetzt so vertieft in eine, daß er keine Notiz von seiner Frau zu nehmen schien. Ohne sich mit einem Buch oder einer Näharbeit die Zeit zu vertreiben, stierte sie ihn mit der gespannten Aufmerksamkeit eines fasziniert auf die Leinwand starrenden Filmfans an.
Wexford hüstelte, und
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