Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
der vorderen Stoßstange herauszupolieren.«
»Ich weiß nicht, wo uns das hinführen soll, Mike. Wir suchen nicht nach einem Unfallwagen, sondern nach einem Zeugen, dem etwas aufgefallen ist, als er an Villiers’ Bungalow vorbeikam.«
»Halbe Sachen sind nicht meine Art«, verteidigte sich Burden. »Jedenfalls habe ich unten nachgefragt, aber für Dienstag abend liegt keine Unfallmeldung vor.«
»Also Schluß damit, ja?« sagte Wexford mürrisch. »Schicken Sie Martin nach Clusterwell, er soll feststellen, ob jemand abends seinen Hund ausführt. Kann nicht schaden, wenn ich mitkomme«, fügte er hinzu. »Mal die Lage peilen. Es ist doch nicht möglich, daß gar niemand auf dieser Straße war.«
Die Häuser von Clusterwell lagen in großen Abständen an einem spinnenförmigen Straßennetz. Sergeant Martin übernahm den Rumpf der Spinne, Wexford die Beine. Während er von Tür zu Tür ging, rief er sich die nervtötenden Routineaufgaben seiner Jugend ins Gedächtnis zurück. Doch die Einwohner von Clusterwell schienen sich auf ihren höchst eigenartigen Begriff von Ehrbarkeit auch noch etwas einzubilden. Wie die Myfleeter blieben sie abends zu Hause. Rechtschaffen war, wer die Türen verriegelte, die Vorhänge zuzog und spätestens um neun vor dem Fernseher saß. Und nach der Anzahl der Promenadenmischungen zu schließen, die Wexford in den Gassen begegneten, machten sich die Hunde auf ihre eigene Art Bewegung.
Ein großer schwarzer Köter knurrte ihn an, als er an die Hecke seines Reviers trat, das wie eine Schrebergartenkolonie aussah. Er verzichtete darauf, sich näher an den hinter Bohnenstangen und aufeinandergestapelten Hühnerställen stehenden Wohnwagen zu pirschen - sein Besitzer war offensichtlich nicht zu Hause. Statt dessen trat er einen Schritt zurück und las den Text des auf einem Pfosten angebrachten schmuddeligen Schildes: A. Tawney. Frische Eier, Hähnchen zum Braten, Gemüse.
»Myfleet«, wies er seinen Fahrer lapidar an.
Mrs. Cantrip saß in die Zeitung vertieft im Schaukelstuhl und hatte sichtlich ein schlechtes Gewissen, daß er sie beim Nichtstun ertappt hatte. Nelleke, die ihn hereingeführt hatte, verschwand in Richtung Arbeitszimmer.
»Alf Tawney, Sir? Wenn er nicht seine Runde macht, können Sie ihn wahrscheinlich bei Mrs. Lovell finden.«
»Wie liefert er denn seine Ware aus?«
»Mit dem Rad, Sir. Vorn am Lenker hat er so einen groβen Korb.«
Wexford nickte. »Bleibt er die Nacht über bei Mrs. Lovell?«
Mrs. Cantrip zu schockieren war leicht, denn sie gehörte jener Denkrichtung an, die der Ansicht ist, Geschlechtsverkehr könne nur zwischen Mitternacht und Morgengrauen stattfinden. »O nein, Sir«, sagte sie errötend und mit gesenktem Blick. »Spätestens um elf geht er. Ich schätze, sogar Mrs. Lovell hat eine verschwommene Vorstellung davon, was sich gehört.«
Das Liebespaar saß gerade beim Abendessen. Mitten auf dem Tisch ohne Tischtuch stand ein Topf Baked Beans.
Mrs. Lovell setzte sich wieder. »Hat Seine Lordschaft was angestellt?« fragte sie, während sie eine Scheibe Brot absäbelte und den Busen auf die Krümel lagerte.
»Mein Besuch hat nichts mit Sean zu tun.« Wexford war klar, daß man ihm keinen Tee anbieten wollte, doch ein Blick auf die angeschlagenen Tassen und den verkrusteten Rand an der Milchflasche hielt sein Bedauern in Grenzen. »Ich habe auf das Vergnügen gehofft, mich mit Mr. Tawney ein wenig zu unterhalten.«
»Mit Alf? Was wollen Sie von Alf?«
Wexford musterte den Eier- und Gemüselieferanten und fragte sich, wie man einen Mann verhören sollte, der anscheinend nie den Mund auftat. Die kleinen schwarzen Augen in dem dunkelhäutigen Spitzmausgesicht erwiderten seinen Blick starr und ausdruckslos.
Schließlich sagte er: »Sie verbringen wohl ziemlich viel Zeit bei Ihren Freunden hier, Mr. Tawney?«
Mrs. Lovell lachte lauthals auf. »Mein Sean zählt nicht zu seinen Freunden. Du kommst wegen mir, stimmt’s, Alf?«
»Hm«, sagte Tawney bekümmert.
»Ist auch nichts gegen einzuwenden«, meinte Wexford. »Nach der täglichen Schufterei braucht ein Mann ein wenig weibliche Gesellschaft.«
»Und ein warmes Essen im Magen. Alf ist ja direkt vom Fleisch gefallen, bevor er auf mich hörte und zu mir kam. Hast du Lust auf ein Cremehörnchen, Alf?«
»Hm.«
»Um wieviel Uhr gehen Sie denn normalerweise von Mrs. Lovell nach Hause?« fragte Wexford.
»Alf muß beizeiten aufstehen«, sagte Mrs. Lovell und wirkte zigeunerinnenhafter denn je.«
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