Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
Sündenbock, Mr. Wexford. Sie wissen so gut wie ich, Ihr lächerlicher, aus der Luft gegriffener Verdacht gegen meine Frau steht und fällt mit dem Motiv, und wo ist Ihr Motiv jetzt?«
Den Bach runter, dachte Wexford und sah auf den kleinen Flußlauf, der sich zwischen den im letzten Sonnenlicht neblig schimmernden Feldern hindurchschlängelte. Er war mit einemmal völlig sicher, daß Villiers diesmal nicht gelogen hatte.
13
Von Nelleke war nichts zu sehen, und so öffnete diesmal Quentin Nightingale persönlich die Tür des Herrenhauses, um Wexford einzulassen. In dem schmucklosen Arbeitszimmer ahnte Wexford jedoch, daß ihre Anwesenheit noch nicht lange zurücklag. Sie war hier bei Quentin gewesen, das spürte er, hatte ihn umarmt und geküßt, um dann wegzulaufen, als es an der Tür geklingelt hatte.
Quentin machte einen abwesenden Eindruck, wirkte wie ein Verliebter, der in der Vergangenheit schwelgt und die nahe Zukunft herbeisehnt. Wexfords Nachricht holte ihn unsanft auf den Boden der Realität.
»Ich habe jedes Schmuckstück, das Elizabeth besaß, selbst für sie gekauft«, sagte er. »Die meisten Quittungen habe ich noch, falls Sie sie wollen.«
»Später. Erst würde ich gern noch einmal die Steine sehen.«
Quentin hängte den Stubbs ab und öffnete den Safe. Mit beiden Händen raffte er die Juwelen aus den Kästchen und ließ sie sich durch die Finger rieseln wie ein Kind, das bei seinem ersten Ausflug ans Meer Muscheln und Steine durchsiebt, und in dessen Vergnügen sich das Staunen über das Unbekannte mischt.
Aus dem Haufen wählte er den Verlobungsring seiner verstorbenen Frau aus und ging mit ihm ans Fenster, doch die einsetzende Dämmerung vereitelte seine Absicht, weshalb er zurückging und die Schreibtischlampe einschaltete.
»Meine Brille«, sagte er. »Direkt neben Ihrem Ellbogen. Wären Sie so freundlich?«
Wexford reichte sie ihm.
»Das ist eine Imitation.« Quentins Stimme bebte leicht. »Es ist nicht der Ring, den ich Elizabeth zu unserer Verlobung geschenkt habe.«
»Woran sehen Sie das?«
»Nicht weil ich mich mit Edelsteinen auskenne. Ich werde mich an einen Fachmann wenden müssen, um uns über die anderen Stücke Gewißheit zu verschaffen. Gibt es so jemanden hier in der Gegend, oder sollte ich einen aus London kommen lassen?«
»Wir können hier einen finden. Sie haben mir aber noch nicht gesagt, woran Sie erkennen, daß der Ring falsch ist.«
»Als ich ihn kaufte, habe ich auf der Innenseite ein paar Worte für sie eingravieren lassen«, sagte Quentin verbittert. Wexford nahm ihm den Ring aus der Hand und war sich darüber im klaren, daß Nightingale nicht die Absicht hatte, ihm den genauen Wortlaut mitzuteilen. »In diesem hier steht nichts.«
»Nein.«
Quentin setzte sich. Mit einer raschen, reflexartigen Bewegung schob er den funkelnden Haufen von sich weg und stieß eine mit Brillanten - Brillanten oder Simili? - besetzte Reviere auf den Teppich. Wie eine glitzernde Schlange lag sie vor Wexfords Füßen.
»Ich nehme an, es sind alles Kopien«, sagte Quentin. »Perfekte Kopien, finden Sie nicht? Alle außer einer. Vorzügliche Imitationen der echten Stücke. Mit Ausnahme dieses Rings. Sie ließ die Steine nachmachen und auch das Platin, aber die Inschrift nachmachen zu lassen, war ihr zuviel, weil sie ihr nichts bedeutete. Wie gleichgültig ich ihr doch gewesen sein muß...«
War es diese Quentin nun endgültig und unumstößlich zum Bewußtsein kommende Gleichgültigkeit, die für ihn den Ausschlag gab? War es diese Erkenntnis, die ihn zu jenem unvermuteten und möglicherweise leichtsinnigen Schritt führte? Viel später, nachdem der Fall abgeschlossen war, stellte sich Wexford oft diese Fragen. Doch als er am Morgen darauf von dem Juwelier wieder zum Herrenhaus fuhr, hatte er nicht einen Gedanken darauf verschwendet, und die Nachricht traf ihn völlig unvorbereitet.
Nelleke führte ihn in den Salon, und als er ihr folgte und die Schmuckschatullen schon aus dem braunen Papier auswickelte, stellte er fest, daß Quentin nicht allein war. Denys Villiers stand bei ihm an der Terrassentür und schüttelte Quentin beide Hände. Wexford hörte den Schluß einer offenbar längeren Rede.
»... Jedenfalls gratuliere ich dir von ganzem Herzen, Quen. Ich freue mich aufrichtig für dich.« Dann fiel Villiers’ Blick auf Wexford. Er ließ die Hände seines Schwagers los und setzte eine hochmütige Miene auf.
»Darf ich fragen, welchen Anlaß es zum Gratulieren gibt,
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