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Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht

Titel: Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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weil er (höchstwahrscheinlich) Inzest mit Augusta Leigh beging. Doch gerade weil Byron heutzutage für diesen Inzest bekannter als für seine Dichtung ist, berührt er mich seltsam, löst die bloße Erwähnung seines Namens, das Zitieren seiner Verse Nervosität in mir aus.
    Doch ich vergesse mein Versprechen, mich kurz zu fassen.
    Als wir Kinder waren, habe ich meine Schwester nicht geliebt. Wir stritten uns laufend und litten nicht unter unserer Trennung. Wir waren froh, einander loszuwerden. Erst in meinem Abschlußjahr in Oxford habe ich sie wiedergesehen.
    Unser Zusammentreffen ereignete sich auf dem Fest zum einundzwanzigsten Geburtstag eines Kommilitonen von mir. Der Vater dieses jungen Mannes stellte mich seiner Sekretärin vor, einem Mädchen namens Elizabeth Langham. Wir gingen zusammen aus, und bald schliefen wir miteinander.
    Ich habe Ihnen gesagt, ich sei ein guter Lügner, doch es ist nicht gelogen, wenn ich Ihnen nun sage, daß ich keine Ahnung hatte, wer sie in Wirklichkeit war, und sie vor diesem Fest noch nie gesehen hatte. Neun Jahre waren vergangen, und wir hatten uns beide verändert. Ich bat sie, mich zu heiraten, und da mußte sie mir die Wahrheit sagen. Zwei Monate lang war ich der Geliebte meiner eigenen Schwester gewesen.
     
    Aus Neid und dem Gefühl heraus, bei der damals für uns gefundenen Lösung ungerecht behandelt worden zu sein, hatte sie seit Jahren mein Schicksal verfolgt. Nachdem sie nach London durchgebrannt war mit einem Mann namens Langham, der ihr einen Sekretärinnenkurs bezahlte, nahm sie eine Stelle bei dem Vater meines Freundes an, weil sie wußte, daß sein Sohn und ich zusammen in Oxford studierten. Sie kam zu dem Fest aus Neugier, mich zu sehen; sie ging mit mir aus, weil ihr ein vager Racheplan vorschwebte. Doch dann geriet ihr die Situation aus der Hand. Obwohl sie wußte, wer ich war, hatte sie sich in mich verliebt. Störte sie es? Ich glaube nicht. Lange vor diesem Ereignis hatte sie die Grenzen der allgemein anerkannten Moral weit überschritten, so daß sie hinter diesem Schritt wohl nur eine besonders gewagte Herausforderung der Gesellschaft sah.
    Wir trennten uns, sie ging mit ihrem Chef nach Amerika, ich nach Oxford. Auf meine damaligen Gefühle werde ich nicht näher eingehen. Sie sind ein einfühlsamer Mensch und können sie sich vielleicht ausmalen.
    Sobald ich meinen Abschluß hatte, heiratete ich; nicht aus Liebe - ich habe in meinem Leben nie jemand anderen geliebt als Elizabeth -, sondern aus einem Bedürfnis nach Sicherheit und Normalität heraus. Die mir von meinem Onkel gewährten Zuwendungen liefen mit meinem einundzwanzigsten Geburtstag aus, und da mir klar war, daß ich mir mit dem Schreiben von Lyrik oder dem Schreiben über Lyrik nie meinen Lebensunterhalt würde verdienen können, bewarb ich mich für eine Stelle als Lehrer an der King’s-Schule.
    Bin ich durch meine Rückkehr nach Kingsmarkham ein Risiko eingegangen? Elizabeth hatte mir erklärt, sie verabscheue die Stadt. Ich dachte, ich hätte die einzige Stadt auf der Welt gefunden, die meine Schwester mit Sicherheit meiden würde.
    Lionel Marriott, diesem penetranten Salonlöwen, blieb es vorbehalten, mir die Hiobsbotschaft von Elizabeths Anwesenheit hier zu überbringen. Ich hatte Angst, ihr zu begegnen; ich sehnte mich danach, sie zu sehen. Wir trafen uns. Sie stellte mich ihrem Mann vor, einem Millionärssohn, der während der Zeit, als sie in Amerika gearbeitet hatte, dort Urlaub gemacht hatte. In der Annahme, sie würde gerne in der Nähe ihres Elternhauses wohnen, hatte er sie mit dem Kauf von Myfleet Manor überrascht.
    Bei Tisch saßen wir zusammen mit ihrem Mann und meiner Frau. Wir plauderten belangloses Zeug. Bei der erstbesten Gelegenheit trafen wir uns allein, und das, Mr. Wexford, war der Neuanfang.
     
    Hätte Quentin Nightingale unserer Liebe nicht unwissentlich Vorschub geleistet, wäre sie undurchführbar geblieben. Wenn er mich nicht gemocht hätte, wäre es Elizabeth und mir kaum möglich gewesen, uns zu treffen, und da ich es nicht ertragen hätte, in ihrer Nähe, doch getrennt von ihr zu leben, wäre ich gezwungen gewesen, mir eine andere Stelle zu suchen und wegzuziehen. Heute wünsche ich mir von ganzem Herzen, es wäre so gekommen.
    Frauen sind zäher als wir, haben weniger Skrupel und neigen nicht so sehr zu Schuldgefühlen. Ich nehme an, Elizabeth war in Quentin verliebt, als sie ihn heiratete, und hatte die Absicht, ihm eine tugendhafte und treue Frau zu sein.

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