Der Liebe eine Stimme geben
in Dr. Campbells Haus ist. Sie wünscht, sie hätte im Wagen gewartet. Sie ist pünktlich, und Jimmy ist spät dran; es ist ihr unerträglich peinlich, allein auf der Couch eines Eheberaters zu sitzen, ohne etwas zu sagen zu haben.
Und die Couch ist auch keine Hilfe. Als sie sich gesetzt hat, ist sie tief in die Kissen eingesunken, sodass ihre Knie gespreizt und nach oben gedrückt wurden und ihre Füße in der Luft baumelten. Sie hat versucht, ihre Position zu ändern, ohne so auszusehen, als ob irgendetwas nicht stimmte, aber je mehr sie herumzappelte, desto tiefer sank sie ein. Dr. Campbells Couch ist wie Treibsand.
Dr. Campbell sitzt ihr gegenüber in einem klobigen Ledersessel, schlürft seinen Kaffee und beobachtet sie, ohne etwas zu sagen. Vielleicht ist das ja irgendeine Art psychologischer Test. Er hat ihr gesagt, sie solle »Platz nehmen«, und mit einer Handbewegung hierhergewiesen. Vielleicht schätzt er ab, was für ein Typ sie ist, indem er beobachtet, wie sie reagiert, wenn sie von einem Sofakissen verschluckt wird. Wenn sie so sitzen bleibt, heißt das, dass sie eine entspannte, ausgeglichene Frau ist. Oder heißt es, dass sie ein Fußabtreter ist, der still alles erdulden wird? Sollte sie höflich um einen anderen Platz bitten?
Sie beschließt, den Mund zu halten. Sie wackelt mit den Füßen in der Luft, wie zum Takt einer verspielten Melodie, und lässt den Blick durchs Zimmer schweifen, versucht sich normal zu geben.
Dr. Campbell hat langes, gewelltes graues Haar, eine Brille und einen Bart. Er sieht ein bisschen aus wie der Weihnachtsmann, nur dass er spindeldürr ist. Und er trägt einen goldenen Ehering. Das ist gut. Ein Eheberater sollte verheiratet sein. Es hat sie immer irritiert, dass der Kinderarzt ihrer Mädchen selbst keine Kinder hat. Lehrbücher und Abschlüsse von teuren Universitäten sind etwas Tolles, aber in ihren Augen gibt es keine bessere Schule als das richtige Leben.
Er trinkt Kaffee aus einem großen, weißen Starbucks-Becher. Das interessiert sie. Sie hat noch nie ein Starbucks gesehen. Sie hat New York City verlassen, kurz bevor dort das erste eröffnet wurde. Sie weiß nur, dass es sie gibt, weil sie im Laufe der Jahre immer wieder von Touristen angesprochen und gefragt wurde: Können Sie mir sagen, wo das Starbucks ist? Sie wird nie vergessen, wie der Mann sie ansah, als sie bei jenem ersten Mal entgegnete: Was ist Starbucks? Als würde er mit einer Frau sprechen, die eben aus einer Nervenheilanstalt entlassen worden ist. Heutzutage sagt sie nur: Hier gibt es keins, und sie verweist die erstaunten Gesichter an The Bean.
Beth fragt sich, woher Dr. Campbell den Becher hat. Bestimmt verlässt er hin und wieder die Insel. Sie fragt sich, wohin er fährt – Boston, New York, exotische Ecken der Welt, wo es Starbucks-Kaffee gibt.
Obwohl es in dem Raum keine Bücherregale gibt, sind überall Bücher und Zeitschriften. Sie stapeln sich zu schwankenden Türmen, so hoch wie Beth, an den Wänden, zu beiden Seiten von Dr. Campbells Sessel, wahllos irgendwo auf dem Boden. Es ist wie eine Bibliothek, die Dr. Seuss konstruiert hat. Mehrere Türme sehen aus, als ob nur noch eine Zeitschrift oder ein Buch fehlt, bis sie in sich zusammenstürzen, wie eine Buchversion des Jenga-Spiels, kurz bevor irgendjemand verliert.
Die weißen Wände sind kahl bis auf ein einziges Bild, das einen detaillierten Familienstammbaum darstellt, in Kalligraphie auf gelbbraunes Papier gezeichnet, damit er alt aussieht. Während sie die Äste betrachtet, erkennt sie, dass es Dr. Campbells Stammbaum ist und dass Dr. Campbell, wenn der Baum korrekt ist, ein unmittelbarer Nachfahre von Edward Starbuck ist, einem der ersten Siedler von Nantucket im Jahr 1659. Sie ist beeindruckt, und sie wundert sich, dass sie diese Tatsache über ihn nicht gewusst hat.
Eine Insel-Abstammung besitzt hier einen hohen Prestigewert. Jimmy lebt seit über einundzwanzig Jahren hier, sie selbst seit fünfzehn, aber sie werden beide immer als »Strandgut« angesehen werden. Außenstehende. Bauernvolk. Ihre Kinder sind hier geboren, daher sind Sophie, Jessica und Gracie Einheimische, aber nur in der ersten Generation. Dazugehörig, aber unmittelbare Nachfahren nicht dazugehöriger Bauern. Dr. Campbell ist ein Einheimischer, dessen Vorfahren sich bis in die erste Zeit zurückverfolgen lassen. Auf Nantucket ist Dr. Campbell Adel. Es ist ein bescheidener Adel, ohne Paparazzi oder ein Schloss, großen Prunk oder auch nur echten
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