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Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers

Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers

Titel: Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbot
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es auch unterlassen können«. Eine »Hörigkeit« verneinte der Psychiater. »Ein Menschenfeind wie Reichenstein« sei der Angeklagte nicht, er sei »nicht fähig auf Menschen zu schießen«. Beide Angeklagten seien »abartig«, aber »voll schuldfähig«. Auch Professor Klimke attestierte Büning »volle Glaubwürdigkeit«.
    Auch wenn die Gutachten überwiegend schlichten Zustandsbeschreibungen gleichkamen, stellten sie insbesondere Reichenstein ein schlechtes Zeugnis aus. Übereinstimmend war er als ein Mensch charakterisiert worden, der Grenzen nicht akzeptierte, sich menschenverachtend gebärdete. Nur um die Beantwortung einer Frage hatten sich die Experten gedrückt: Verbarg sich hinter der Maske des Biedermanns ein gewissenloser Mörder?

38
    7. Dezember 1959, dreizehnter Verhandlungstag.
    Nach den für Reichenstein desaströsen Gutachten schien der Rahmen des Schuldspruchs schon abgesteckt zu sein. »Da kommt der nicht mehr heil raus«, hatte es auf dem Gerichtsflur geheißen. Die Sachverständigen schienen das Büning’sche Bild des »Dämons« größtenteils bestätigt zu haben. Doch die Zeugen, die an diesem Dienstag aussagten, schürten neue Zweifel. Es waren ausnahmslos rechtschaffene Leute, die den Hauptangeklagten und seine Familie jahrelang gekannt hatten. Aber niemand wollte etwas bemerkt haben: keine Gefühlsleere, keine Menschenfeindlichkeit, schon gar keine mörderische Gesinnung. Die Zeugen stellten dem mutmaßlichen Serienkiller das beste Zeugnis aus.
    Und sie waren alle gehemmt, seine ehemaligen Freunde. Schämten sich mitunter, als sie den Geschworenen berichten sollten. Aber sie blieben standhaft. Ein Ehepaar erinnerte sich an einen »freundlichen und zuvorkommenden« Spielpartner gemütlicher Kartenabende: »Mit dem Bild, das wir von Herrn Reichenstein kennen, lässt sich dieser Prozess einfach nicht vereinbaren!«
    Ein junger Schlosser erzählte: »Man konnte mit ihm über alles reden. Ich muss es so sagen, wie es ist. Erwin Reichenstein war ein guter Kollege, freundlich und hilfsbereit. Und wenn das wirklich mit ihm so ist, wie Sie hier ermitteln, Herr Richter, dann muss der Mann zwei Gesichter gehabt haben.«
    Fast alle kannten sie ihn aus der Fabrik. Reichenstein hatte an unterschiedlichen Stellen gearbeitet. Stets war er bemüht und fleißig gewesen, hatte mehr verdienen wollen. Dem einen hatte er Schach beigebracht, dem anderen Judogriffe gezeigt. Mit diesem hatte er an einem Hubschraubermodell herumgebastelt, mit jenem Schießübungen mit einem Luftgewehr gemacht. Fast allen Freunden und Bekannten hatte Reichenstein auch von seinen chemischen Experimenten erzählt – nur über Gift sei »bestimmt nicht« gesprochen worden.
    Reichenstein genügte das nicht. Er spürte, dass es nicht ausreichen könnte. Dass er Gefahr lief, unter der Lawine von Indizien begraben zu werden. Für immer. Er verlangte neue Zeugen, mehr Zeit – denn der Vorsitzende hatte das baldige Ende der Beweisaufnahme angekündigt. Reichenstein feilschte um die Bewertung von Kleinigkeiten. Er suchte die Chancen der letzten Minuten. Er fühlte sich benachteiligt, forderte Gerechtigkeit, Chancengleichheit: »Ich bin daran interessiert, dass meine Person so dargestellt wird, wie sie wirklich ist, und nicht so, wie sie in den Verleumdungen Bünings hier erscheint!«
    Doch der Vorsitzende zeigte ihm die kalte Schulter: »Nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich nicht gewillt bin, noch weitere Leumundszeugen zu hören!« Schluss. Ende. Aus?

39
    8. Dezember 1959, vierzehnter Verhandlungstag.
    Zum Ende der Beweisaufnahme wurde durch die Staatsanwaltschaft eine Zeugin aufgerufen, die sich erst im Verlauf des Prozesses bei den Anklagevertretern gemeldet hatte. Der Brief von Dorothea Scholz hatte die Behörde drei Tage zuvor erreicht. Darin hatte die 54-jährige Krankenschwester mitgeteilt, sie habe kurz nach dem Krieg an der grünen Grenze bei Helmstedt mit Reichenstein »ein entsprechendes Erlebnis« gehabt.
    Dorothea Scholz erzählte von ihrer Begegnung mit dem Angeklagten: »Es war im Jahre 1947, im August, den genauen Tag weiß ich nicht mehr, als ich aus Neuruppin flüchtete. Ich war nicht alleine unterwegs, eine Freundin aus der Nachbarschaft und eine meiner Cousinen waren auch dabei. Wir brauchten unbedingt Hilfe, weil wir uns im Zonengrenzgebiet nicht auskannten. Da haben wir zufällig zwei junge Burschen kennengelernt, die uns erzählten, sie würden uns sicher aus der Sowjetzone herausbringen. Einer der Männer war der

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