Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
legal oder illegal, ordentlich in seinem Arbeitsbereich. Sie sollen juristische Überlegungen außer Acht lassen, Sie sollen allein das Gefühl sprechen lassen, das Sie seit dem 3. November bewegt hat, wenn Sie Bünings Aussagen hören.«
»Können Sie sich vorstellen, wie sich dieser Mann«, Dr. Lützenrath zeigte auf Büning, »wie sich dieser Mann geehrt gefühlt haben muss, als sich der brillante Intellekt jenes anderen Mannes (mit diesen Worten umging der Verteidiger während des gesamten Plädoyers die Nennung des Namens Reichenstein) ihm zuwandte? Der aber hat nichts ohne Grund getan. Scharfsinn, Zielstrebigkeit und verbrecherischer Wille sind seine hervorstechenden Eigenschaften gewesen. Dieser Mann, mit einem solchen Verstand, nähert sich dem einfachen Waldläufer der niederrheinischen Jagd. Büning war ihm nur Mittel zum Zweck – ein tragisches Schicksal!«
Im Geständnis des Mitangeklagten sei »nichts«, so argumentierte der Verteidiger, »auch nicht das Unwahrscheinliche, unwahr«. Büning habe ihn erstmals mit der »vollen Wahrheit« konfrontiert, nachdem Dr. Lützenrath seinen Mandanten beschworen habe: »Tragen Sie dazu bei, dass unsere Kinder in einer Nacht im Mai zusammen spazieren gehen können, ohne dass gemordet wird. Offenbaren Sie alles! «
Dann wurde der Anwalt, der seine Ansichten in freier, flammender Rede vortrug, konkret: »Büning ist keinesfalls Gehilfe beim Raub und beim Mord gewesen, sondern der Mensch, der es verhindert hat, dass ein weiteres Verbrechen begangen worden ist. Er hat zweifellos dem Begleiter Dr. Stürmanns das Leben gerettet. Glauben Sie nicht, wenn Sie heute Littek fragen würden, dass er diese Schläge verzeihen würde?« Weil er aber »dessen Integrität verletzt« habe, sei er »wegen gefährlicher Körperverletzung zu bestrafen«.
Stets sei »die Beeinflussung durch jenen anderen Mann« Grund für die Verfehlungen Bünings gewesen. Selbst bei dem Überfall auf ein Liebespaar hätte »es dieser Initialzündung bedurft«. Reichenstein habe den Kumpanen mit der Mär von einem angeschossenen Rehbock »an dessen schwächster Stelle, der Jagdleidenschaft, gepackt«. Nur deshalb sei Büning überhaupt mitgegangen: »Die Gedanken auf einen Rehbock gerichtet, wurde er vor einen Mord gestellt. Gott sei Dank waren seine Seelenkräfte so stark, dass er ein neues Verbrechen verhindert hat.«
Mit einer letzten großen Geste wandte Dr. Lützenrath sich an die Geschworenen, und zwar nur an sie: »Seit 1957 stehe ich an der Seite dieses so schwer beschuldigten Mannes. Ich habe ihm geraten: ›Vertraue dich dem Schwurgericht an!‹ Bedenken Sie, ob unsere Freunde und unsere Kinder abends spazieren gehen könnten, ohne die Schritte eines Mörders hinter sich fürchten zu müssen – wenn Fritz Büning geschwiegen hätte. Wir hatten nur einen Glauben, als wir über das Geständnis berieten – den Glauben an Ihre Gerechtigkeit!«
Von den beiden Reichenstein-Verteidigern richtete zunächst Heinz Peters das Wort an Richter und Geschworene. Es hätte keinen Sinn gemacht, an die Gefühle der Urteilenden zu appellieren, dafür eignete sich der stets unterkühlt agierende, ein wenig überheblich wirkende Angeklagte nicht. Vielmehr galt es, die vermutete bewusste oder unbewusste Voreingenommenheit insbesondere aus den Köpfen der Amateur-Jury herauszubekommen. Deshalb der Appell: »In diesem Prozess, der verspricht, der Prozess zumindest dieses Jahrzehnts zu werden, liegt es nahe, dramatische Effekte zu erzielen, flüchtigen Tagesruhm zu erwerben. Die schweren Vorwürfe schließen jedoch Gedanken dieser Art von vornherein aus. Was hier ausschließlich Bedeutung hat, sind Tatsachen. Es erscheint der Verteidigung allerdings fast unmöglich, dass dieser Mordprozess noch unvoreingenommen verhandelt werden kann, da die Presse seit nunmehr drei Jahren den Angeklagten Reichenstein als den ›Liebespaar-Mörder‹ bezeichnet. Die Presse hat in ihren Saure-Gurken-Zeiten immer wieder Reichenstein dazu benutzt, mehr oder minder wahre Berichte über ihn zu bringen. Der frühere Verteidiger Reichensteins, Rechtsanwalt Dr. Arthur Wolff aus Düsseldorf, hat die Staatsanwaltschaft gebeten, Meldungen dieser Art vor Beendigung der Verhandlungen zu unterbinden, doch ist diesem Ersuchen bisher kein Erfolg beschieden gewesen. Ich kann mir heute nicht mehr vorstellen, dass das Gericht unbeeindruckt von diesen Dingen ist.«
Während sein Verteidiger sprach, verbarg Reichenstein die meiste Zeit das Gesicht
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